Lebens­grün

Der Grü­ne Hügel von Bay­reuth … Selbst wer ihn noch nie sah oder betrat, hat bestimmt schon von jenem Opern­haus, das Richard Wag­ner vor andert­halb Jahr­hun­der­ten errich­ten ließ, und von den welt­be­kann­ten Bay­reu­ther Fest­spie­len gehört. So berühmt ist das hal­le­sche Opern­haus nicht und – in den 1880er Jah­ren als Stadt­thea­ter erbaut – zudem nicht ganz so alt. Aber über einen grü­nen Hügel ver­füg­te es bis vor kur­zem auch. Näm­lich hin­ter der Oper in Rich­tung Uni­ring, und lan­ge war er städ­ti­sches Eigentum.

Dort wuch­sen, wild und unge­stört, im Lauf der Zeit fast drei­ßig Bäu­me, dar­un­ter Berg­ahorn und ande­re geschütz­te Arten, zu einer grü­nen Oase zwi­schen den Haus­mau­ern heran.
Doch irgend­wann brauch­ten die Stadt­obe­ren Geld. Da traf es sich gut, dass die bri­ti­sche Hotel­ket­te Pre­mier Inn gera­de einen inner­städ­ti­schen Stand­ort in Hal­le such­te … Über den Ver­kauf des strit­ti­gen Are­als an die Saa­le­spar­kas­se fand sie ihn. Nie­mand aus dem Kreis der Entscheidungsträger/innen kam auf die ret­ten­de Idee, anstatt des­sen eins der bei­den gro­ßen, seit Jah­ren leer­ste­hen­den und unauf­halt­sam ver­rot­ten­den Hotels – das Welt­frie­den neben dem Stadt­bad und das Mari­tim in der Nähe des künf­ti­gen Zukunfts­zen­trums – zu reno­vie­ren und so neben­bei noch etwas für ein bes­se­res Erschei­nungs­bild der Stadt zu tun …
Mit meh­re­ren Aktio­nen erwirk­ten die Bür­ger für Bäu­me zwar einen Auf­schub der für die Bau­stel­le geplan­ten Fäl­lun­gen, doch sie zu ver­hin­dern, gelang der Initia­ti­ve nicht.

Am Diens­tag, dem 27. Febru­ar 2024 – zwei Tage bevor die jähr­li­che Baum­schon­zeit begann – wur­den unter Poli­zei­schutz alle Bäu­me auf dem grü­nen Hügel abgesägt.

Am Sams­tag, als wir noch hoff­ten, schrieb ich unter dem Titel 'Lebens­grün' ein Gedicht und schick­te es an die Mit­tel­deut­sche Zei­tung. Mit der Begrün­dung, das Lay­out sähe Lyrik nicht vor, wur­de die Ver­öf­fent­li­chung mei­nes Bei­trags abgelehnt.

Kei­ne zwei Bäume
auf die­ser Welt
glei­chen einander
ganz
Pap­pel­al­le­en
Ahorn­in­seln
Pini­en­wäl­der
Hasel­ge­strüpp
Jeder Baum
jedes Bäum­chen
jeder Strauch
zeigt sein eig­nes Gesicht
will da sein
atmen leben grünen
nicht
enden vor der Zeit
som­mers im dich­ten Laub- oder Nadelkleid
win­ters mit kahl fili­gra­nem Geäst
zart schwar­ze Sil­hou­et­ten malend
vor leuch­ten­den Himmeln
die schwei­gen werden
zu Ket­ten­sä­gen
Pla­nier­rau­pen
und Bau­ge­rät
Sie und ihre Göt­ter geht das nichts an
Wir aber müs­sen reden und was tun
damit der Wald bleibt
und jeder ein­zel­ne Baum
Weil:
Ohne leben­di­ges Grün
spie­len Krieg und Frieden
kei­ne Rol­le mehr

Es war bit­ter kalt. Seit halb sie­ben hat­ten wir – mit Pro­test­pla­ka­ten, Trom­meln und Pfei­fen – an jenem Febru­ar­mor­gen aus­ge­harrt. Stun­den­lang. Über hun­dert waren wir. Ord­nungs­amt und Poli­zei soll­ten dafür zu sor­gen, dass die vor­geb­lich von der Stadt erteil­te Fäll­ge­neh­mi­gung (die nie­mand von uns gezeigt bekam) rei­bungs­los umge­setzt wur­de. Trotz­dem rede­ten die Poli­zis­ten freund­lich mit uns. Die rings­um par­ken­den Autos wur­den behut­sam abge­schleppt. An meh­re­ren der Bäu­me hat­ten Akti­vis­ten ihre Fahr­rä­der ange­ket­tet, aber auch das half am Ende nichts.
Ich blieb nicht bis zum Schluss, woll­te nicht sehen, was am Tat­ort zwi­schen Opern­haus und dem einst roman­ti­schen Gäss­chen namens Unter­berg geschah.

Mar­ga­re­te Wein

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