Den Leerstand von Wohnungen, von ganzen Häusern, bemerkt am deutlichsten, wer zu Fuß unterwegs ist: Ruinöse Gebäude in bester Wohnlage, in Vierteln mit sanierten Gründerzeithäusern, mit Jugendstilvillen und mit mehr oder weniger angepassten Neubauten. Für den Leerstand in Halle, wie in anderen Städten auch, gibt es verschiedene Ursachen: Ungeklärte Eigentumsfragen; Eigentümer, die nicht willens oder fähig sind, auflagengerecht zu sanieren; fehlende Investoren. „Problem-Immobilien“ stehen auch auf dem Terrain des Diakoniewerks Halle.
Es wurde vor 165 Jahren als Diakonissenanstalt gegründet. Zu der sozialen Einrichtung gehören heute sechs Kliniken und fünf Fachzentren, zahlreiche altersgerechte Wohnungen, Altenpflegeeinrichtungen, die kleine 1893 gebaute Kirche und, außerhalb des Grundstücks, ein Wohnhaus und eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, eine Kindertagesstätte und das Tochterunternehmen Poli Reil. Seit 2014 ist das Diakoniewerk Gesellschafter der Christlichen Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe – organisiert als eigenständige Stiftung bürgerlichen Rechts. Etwa 750 Menschen sind heute hier beschäftigt.
Auf den Orientierungs-Schildern des Geländes sind die Problem-Immobilien unbenannte graue Flächen. So die 1873 erbaute Gründerzeitvilla in der Burgstraße Ecke Lafontainestraße, nach Pfarrer Otto Jordan (1839–1919) Jordanhaus genannt; seit 2010 steht sie leer und wird nur interimsmäßig genutzt, kürzlich noch als Impfzentrum. Benachbart eine Villa etwa gleichen Baujahrs, zuletzt Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik; auch seit über zehn Jahren ungenutzt dem Verfall preisgegeben. Des Weiteren das 1925 erbaute langgezogene zweigeschossiges Haus im Advokatenweg. Es war bis 2003 das Schwesternwohnheim „Abendfrieden“; seitdem ist es Depot. Gardinen vermindern kaum den tristen Eindruck, den es macht.
Wie sieht die Zukunft dieser Gebäude aus? Christian Beuchel, der im Dezember überraschend abberufene Vorstand des Diakoniewerks und Geschäftsführer des dazugehörigen Krankenhauses und der Poli Reil, sagte auf Anfrage, die Villen müssten für eine neue Altenpflegeeinrichtung abgerissen werden, weil die angestrebte Funktionalität, der erforderliche technische Standard, sich in den Altbauten nicht realisieren lasse. Das Haus „Abendfrieden“ nannte er „Sorgenkind“. Die Nutzungsmöglichkeiten seien begrenzt, Umwidmungsideen passten nicht zum Stiftungszweck.
Noch gibt es zu diesen Auskünften keine neuen Perspektiven. Udo Israel, Verwaltungsmitarbeiter und Pressesprecher des Diakoniewerks Halle, konnte am Telefon noch nichts zu aktuellen Vorhaben bezüglich der Villen in der Burgstraße sagen. Auch für das Haus „Abendfrieden“ gebe es keine konkreten Planungen. Aber die Gebäude „stehen auf dem Prüfstand“. So bleibt alles noch offen.
Denn weder das ehemalige Schwesternwohnheim noch die Villen dürfen abgerissen werden. Nach Auskunft der Denkmalschutzbehörde sind alle Gebäude des zentralen Diakoniewerks als „Bestandteil eines Denkmalbereichs“ geschützt, jedenfalls die Fassaden und Einfriedungen.
Im Sinne von Nachhaltigkeit sollte generell Sanierung vor Abriss und Neubau Priorität haben. Der Bundesgerichtshof hat 2021 Immobilieneigentümern strengere Sanierungspflichten auferlegt. Ist das Diakoniewerk davon entbunden, und ist nicht auch für Leerstand Grundsteuer zu zahlen? Nach eigenen Angaben will die Diakonie Deutschland bis 2035 klimaneutral wirtschaften. Passt dieses Ziel zu den Plänen des halleschen Diakoniewerks?
Der Artikel erschien zuerst in der Mitteldeutschen Zeitung.
Christoph Kuhn
Christoph Kuhn, 1951 in Dresden geboren, lebt als Schriftsteller und Journalist in Halle.
Mitglied des VS in ver.di und des PEN.
Zuletzt veröffentlicht: Kein Weg zurück, Erzählungen, 2018. Poesiealbum 348, Gedichte, 2019.