Mie­ten­wahn­sinn in Hal­le ? Ein Plä­doy­er gegen die Abrisspolitik

Der „Mie­ten­wahn­sinn“ ist in Ber­lin, Ham­burg oder Mün­chen All­tags­ge­spräch. Aber auch in mit­tel­gro­ßen Groß­städ­ten kön­nen die Wohn­kos­ten in kur­zer Zeit expo­nen­ti­ell anstei­gen. Frei­burg im Breis­gau ist ein extre­mes Bei­spiel dafür – Leip­zig ist imVer­gleich zum Sta­tus von vor eini­gen Jah­ren immens teu­er gewor­den. In Hal­le wächst zuneh­mend ein Bewusst­sein, dass die Zei­ten güns­ti­gen Woh­nens vor­bei sind. Den­noch wird im Rat­haus jedoch immer noch gehan­delt, als wäre Woh­nungs­not „ein Fremdwort“.

Anders ist nicht zu erkä­ren, wie bei rasant stei­gen­den Miet­kos­ten wei­ter­hin gro­ße Neu­bau­blocks im Süden und in Neu­stadt abge­ris­sen wer­den oder dar­auf hin vor­be­rei­tet wer­den durch lan­gen Leerstand.

In Städ­ten mit „Mie­ten­wahn­sinn“ wird das Woh­nen für immer grö­ße­re sozia­le Grup­pen unbe­zahl­bar, und es folgt die Ver­drän­gung an den Stadt­rand, aus der Stadt hin­aus, oder für man­che in die Obdach­lo­sig­keit oder beeng­te Wohn­ver­hält­nis­se. Eine Fami­lie mit Kind in einer Ein­raum­woh­nung galt bis vor kur­zem als unzu­mut­bar, aber vie­ler­orts ist das wie­der der Fall was wir glaub­ten nur aus dem Schul­buch über die Vor­kriegs­zeit zu ken­nen. Wäh­rend­des­sen sit­zen man­che älte­re Leu­te in viel zu gro­ßen Woh­nun­gen und wür­den sich ger­ne ver­klei­nern, kön­nen aber nicht, weil sie ihren zwan­zig Jah­re alten Miet­ver­trag sonst ver­las­sen müß­ten und eine neue Woh­nung mit zwei Zim­mern manch­mal teu­rer ist als eine alte mit fünf. So woh­nen bei­de schlecht, die jun­ge Fami­lie und das älte­re Ehe­paar. Wäh­rend­des­sen ste­hen immer noch Häu­ser und Woh­nun­gen leer. Immer­hin ist das neu­er­dings in Ber­lin unter dem Stich­wort Zweck­ent­frem­dungs­ver­bot nicht mehr erlaubt, obwohl es zu wenig durch­ge­setzt wird. Das zeigt jedoch, so etwas wie ein Ver­bot poli­tisch jeder­zeit mög­lich ist.

Der Markt kriegt gar nix geregelt

Das alles soll­te rei­chen, um noch dem letz­ten Markt-Gläu­bi­gen vor Augen zu füh­ren, dass der Markt allein erst ein­mal gar nichts regelt. Genau­er gesagt, funk­tio­niert der Woh­nungs-Markt her­vor­ra­gend, aber nur für die klei­ne Grup­pe der Immobilienbesitzer*innen und nicht für die gro­ße Mehr­heit der Leu­te, die irgend­wo woh­nen wol­len. Wenn also die FDP sagt, der Markt regelt es, dann hat sie Recht, inso­fern Sie damit die Millionär*innen meint. In deren Sin­ne muss sich nichts ändern und jeder Ein­griff ist Sozia­lis­mus wenn nicht gleich „extre­mis­tisch“. Dabei tut uns die FDP immer­hin den Gefal­len, sich deut­lich zu posi­tio­nie­ren. Außer von der Links­par­tei jedoch for­dert der­zeit kei­ne Kraft im Par­la­ment einen bun­des­wei­ten Mie­ten­de­ckel nach Ber­li­ner Vor­bild. Für die Immo­bi­li­en­haie ist das ein rotes Tuch, für vie­le Mie­te ist es die ein­zi­ge Chan­ce, jemals wie­der einen bezahl­ba­ren Vetrag zu bekom­men. Denn im Moment gehen die Prei­se „durch die Decke“ - ein Ende ist nicht in Sicht.

Vie­le Blö­cke ste­hen ganz leer

In Hal­le-Neu­stadt droht immer noch was andern­orts poli­tisch undenk­bar wäre: der Abriss von Woh­nun­gen. Vie­le Blocks ste­hen kom­plett leer und ver­wahr­lo­sen: Ara­li­en­stra­ße 1, an der Magis­tra­le 71 – 81 (gegen­über Zen­trum Neu­stadt), -Wohn­kom­plex I/4 an der Magis­tra­le 105 – 109 (gegen­über Schwimm­hal­le Neu­stadt), Zscher­be­ner Stra­ße 12 – 15 (ehe­mals Pla­te­block, unterm Gas­tro­nom), das ehe­ma­li­ge Stu­die­ren­den-Wohn­heim in der Richard-Paulick-Stra­ße. In der Süd­stadt und der Sil­ber­hö­he sind eben­falls vie­le Wohn­blocks abge­ris­sen wor­den. Die Stadt selbst legt kei­ne Lis­te vor weil das eben kein The­ma ist und schein­bar kei­nes sein soll.

Dazu kommt der Leer­stand und Ver­fall von drei der fünf Schei­ben-Hoch­häu­ser. Zusam­men sind das hun­der­te Woh­nun­gen für tau­sen­de Mieter*innen. Wenn die dem Markt ent­zo­gen sind indem sie leer ste­hen, steigt der Preis für die ver­blei­ben­den Woh­nun­gen. Das ist gut für die Besitzer*innen und schlecht für die Mieter*innen. Ich fin­de, in einer Zeit in der Schutz­su­chen­de in den Wäl­dern Ost­po­lens wort­wört­lich zu Tode erfrie­ren und im Mit­tel­meer ertrin­ken, weil die ach so zivi­li­sier­te EU meint, sie hät­te kei­nen Platz, ist Wohn­raum­zer­stö­rung kriminell.

Abriss as usual

Bis­her sind leer gezo­ge­ne Blocks in „Ha-Neu“ meis­tens abge­ris­sen wor­den, zum Bei­spiel am öst­li­chen Ende der Magis­tra­le auf deren Süd­sei­te und vie­le auch „kreuz und quer“ in den Vier­teln. Zugleich häu­fen sich in den letz­ten Jah­ren die auf­wän­di­gen Sanie­run­gen und damit ein­her­ge­hend die Umwand­lung in Eigen­tums­woh­nun­gen. In Ber­lin ist das ver­schrien als so genann­te „Luxus­sa­nie­rung“, die übli­cher­wei­se genutzt wird um ers­tens die Mie­te weit über das von der „Miet­preis­brem­se“ erlaub­te Niveau anzu­he­ben und damit die alten Mieter*innen „los zu wer­den“. Wenn das erreicht ist – nicht sel­ten wird nach­ge­hol­fen mit ille­ga­len Schi­ka­nie­run­gen wie Was­ser, Strom, und Hei­zung abstel­len oder ein Bau­ge­rüst vor die Fens­ter – dann kom­men ent­we­der neue Mieter*innen, die sich die stark erhöh­te Mie­te leis­ten kön­nen, oder die Woh­nun­gen wer­den ver­kauft. Auch in Hal­le sind Prei­se von über 200.000 Euro je Woh­nung üblich, dafür reicht ein Blick in Immoscout oder E-Bay-Klein­an­zei­gen. Das ist weni­ger als in den Groß­städ­ten, wo die glei­che Woh­nung viel­leicht eine hal­be Mil­lio­nen kostet.

Ein Jahr­hun­dert lang ging es mit Miet­woh­nun­gen und regu­lier­ten Miet­prei­sen, und nun heißt es, jede und jeder soll mög­lichst Eigentümer*in wer­den oder den Mie­ten­wahn­sinn erleiden.

Bloß, woher das Geld neh­men? Auch 200.000 Euro kön­nen vie­le Men­schen nicht spa­ren, man­che nicht ein­mal, wenn sie ihr gan­zes Leben jeden Pfen­nig zur Sei­te legen. Und wer es kann, der oder die zahlt dann oft das gan­ze Leben den Kre­dit bei der Bank ab. Die Markt-Extremist*innen wür­den dann rufen: sie­he da, es geht doch, kein Grund zum Jam­mern! Aber Moment, war­um sol­len Men­schen ihr hal­bes oder gan­zes rest­li­ches Leben an die Bank und die an einen Immo­bi­li­en-Hai zah­len, wenn sie es bis dahin auch nicht muss­ten? Ein Jahr­hun­dert lang ging es mit Miet­woh­nun­gen und regu­lier­ten Miet­prei­sen, und nun heißt es, jede und jeder soll mög­lichst Eigentümer*in wer­den oder den Mie­ten­wahn­sinn erleiden.

Auf der ganz prak­ti­schen Ebe­ne steht da immer noch ein Haus, es wohnt immer noch die glei­che Per­son drin. Das Haus ist viel­leicht ein biss­chen moder­ni­siert, aber im gro­ßen und gan­zen macht es Das­sel­be wie immer, Haus sein und Woh­nun­gen haben. Und wür­de da nicht drum­her­um eine ganz attrak­ti­ve Stadt sein, wäre das Woh­nen dort sehr wenig wert. Die Immo-Haie haben zu dem aller­meis­ten gar nichts dazu­ge­tan, nicht zur Stadt, und wenig zum Haus. Sie sind so über­flüs­sig wie ein Kropf. Dass es die­ser „Indus­trie“ gelingt immer mehr Häu­ser auf­zu­kau­fen, beweist erst ein­mal, dass der Markt nicht funk­tio­niert. Er befrie­digt das all­ge­mei­ne Grund­recht auf Woh­nen immer schlechter.

Aber zurück zu Hal­le Neu­stadt. Der erheb­li­che Leer­stand kann also sowohl zum Abriss (1) als auch zu Eigen­tums­woh­nungs­um­wand­lung (2) füh­ren. Am unwahr­schein­lichs­ten ist eine preis­wer­te Instand­set­zung und neu­er­li­che Ver­mie­tung zu den orts­üb­lich nied­ri­gen Mie­ten an sozi­al Schwa­che (3), sei­en es nun Bio-Deut­sche oder Refu­gees oder ande­re Gruppen.

Die Zei­ten mit Leer­stand sind so vor­bei wie der „Kal­te Krieg“. Hal­les Bevöl­ke­rung wächst und Mieter*innen soll­ten für einen Mie­ten­de­ckel, eine Miet­preis­brem­se und einen qua­li­fi­zier­ten Miet­spie­gel kämpfen.

Sze­na­rio 1 und 2 sind güns­tig für die Immo-Haie, aber schlecht für die Mieter*innen der Stadt. Sze­na­rio 3 wäre sehr gut für die Mieter*innen oder sogar Refu­gees wenn sie denn ins Land gelas­sen wür­den aber schlecht für die Immo-Haie weil dann das Ange­bot steigt und die Prei­se viel­leicht sta­gnie­ren oder (man wagt es kaum zu hof­fen) fal­len. Wür­den wir in einer FDP oder auch AfD-Welt (die auf­fal­lend häu­fig von Immo­bi­li­en­mil­li­ar­dä­ren wie Hen­ning Conn­le finan­ziert wird) leben wäre alles in Ord­nung - war­um die Auf­re­gung? Nun wird aber Hal­le seit Jahr und Tag von einer wenn auch knap­pen rot-rot-grü­nen Mehr­heit regiert, die BRD von einer Regie­rung mit SPD-Betei­li­gung. Deren Ver­spre­chen war nicht, noch mehr für die Rei­chen und weni­ger für die Mehrheit.

Von Istan­a­bul bis Paulusviertel

Der Miet­markt in einem Stadt­teil ist ver­bun­den mit den ande­ren, die Knapp­heit wird von Vier­tel zur Vier­tel und selbst von Stadt zu Stadt wei­ter­ge­ge­ben. Ver­knappt sich das Ange­bot an güns­ti­gen Miet­woh­nun­gen in Hal­le-Neu­stadt, schrumpft der Markt für ganz Hal­le. Längst flüch­ten Men­schen vor den „Wucher­mie­ten“ in Leip­zig und Ber­lin auch nach Hal­le. Der dicht getak­te­te ICE-Anschluss in einer Stun­de nach Ber­lin wirkt preis­stei­gernd, denn so kön­nen Men­schen in Hal­le Mie­te zah­len aber in Ber­lin das Gehalt abho­len. In Ber­lin wie­der­um lan­den Londoner*innen und Leu­te aus dem IT-Busi­ness die ihre Arbeit dank Inter­net von über­all aus machen kön­nen. Mit dem Gehalt, das in Lon­don noch vor eini­gen Jah­ren einen gewis­sen Lebens­stan­dard sicher­te schnap­pen sie in ehe­mals pro­le­ta­ri­schen, migran­ti­schen und etwas her­un­ter­ge­kom­me­nen Vier­teln den Ein­hei­mi­schen vie­le Woh­nung weg. Denn wel­cher Ver­mie­ter nimmt schon den Hart­z4-Bezie­her oder die Auf­sto­cke­rin, wenn jemand anders einen Gehalts­nach­weis mit 3, 4 oder 5.000 Euro vor­legt? Die „Mie­ten­ex­plo­si­on“ und die exor­bi­tan­te Stei­ge­rung der Kauf­prei­se für Häu­ser und Woh­nun­gen betrifft vie­le Städ­te, sei es in Nord­ame­ri­ka, Tür­kei oder West­eu­ro­pa. Das nach lang­fris­tig pro­fi­ta­blen Anla­gen suchen­de Kapi­tal drängt zuneh­mend in Ren­ten­wer­te, das sind Grund und Boden, Acker­land, Infra­struk­tur. Der Human­geo­graph David Har­vey hat eine gan­ze Theo­rie für die­se neu­es­te Pha­se des Kapi­ta­lis­mus entwickelt.

Wer­den in Hal­le die Dum­men nicht alle?

Aber zurück zu Hal­le. Von Sei­ten der Stadt ist nichts zu hören, was mit dem vie­len Leer­stand in Neu­stadt gesche­hen soll. Noch nicht ein­mal einen Plan gibt es, wie wei­te­rer Leer­stand von Plat­ten­bau­ten ver­mie­den wür­de. Oder noch weni­ger als das: eine ein­fa­che Wil­lens­be­kun­dung, Leer­stand und Abriss wenigs­tens ver­hin­der zu wol­len – selbst das fehlt.
Sicher ist nur, dass mit jedem leer­ste­hen­den Gebäu­de bezahl­ba­re Woh­nun­gen ver­lo­ren gehen. Denn ein lee­res Haus geht kaputt und muss je län­ger es leer stand umso teu­rer saniert wer­den, allein um den alten Zustand wie­der her­zu­stel­len. Gut zu sehen ist das am Wohn­kom­plex I / 4 gegen­über der Schwimm­hal­le, der in nur einem Jahr durch Van­da­lis­mus stark beschä­digt wur­de. Mitt­ler­wei­le haben Ran­da­lie­rer selbst die Plas­tik­fens­ter­rah­men abge­brannt oder her­aus­ge­bro­chen. Der ein­fachs­te Weg zu bezahl­ba­ren Mie­ten bleibt daher, Leer­stand von gan­zen Häu­sern von vorn­her­ein zu vermeiden.

Ver­ste­hen SPD und Lin­ke nicht, wie die­ser neo­li­be­ra­li­sier­te
Woh­nungs­markt funktioniert?

Da Hal­le weder von einer FDP- noch einer AfD oder CDU regiert wird, stellt sich in aller Deut­lich­keit die Fra­ge – war­um? Für wen macht die Stadt die­se Poli­tik? War­um sorgt sie nicht für die gro­ße Mehr­heit der Mieter*innen? War­um küm­mern sich SPD und Lin­ke so wenig um ihre Wähler*innen? Hat das Inter­es­se der Immo­bi­li­en-Haie etwa ein grö­ße­res Gewicht als das der Mehr­heit der Stadt­be­völ­ke­rung? Ver­ste­hen SPD und Lin­ke nicht, wie die­ser neo­li­be­ra­li­sier­te Woh­nungs­markt funktioniert?

Frei­lich, es lässt sich nicht mit einem „Hieb- und Stich­fes­ten“ Cor­pus Delic­ti bewei­sen, dass die Stadt absicht­lich gegen bezahl­ba­res Woh­nen arbei­tet. Aber die Ergeb­nis­se sind doch ein­deu­tig, woh­nen wird immer teu­rer. Mög­li­cher­wei­se hat die Stadt ein­fach kein Kon­zept und kei­ne Auf­merk­sam­keit für ein Pro­blem das noch nicht als sol­ches wahr­ge­nom­men wird. Weni­ge aus Rat­haus und Ver­wal­tung wer­den wohl selbst in Neu­stadt woh­nen. (Eine Aus­nah­me ist in der Tat Hen­drik Lan­ge, der nicht-gewähl­te Bür­ger­meis­ter­kan­di­dat) Mög­li­cher­wei­se eiert die Stadt­po­li­tik ein­fach so in den Mie­ten­wahn­sinn hin­ein und merkt nicht so recht was geschieht.

Neu­rei­che sind kei­ne Bereicherung

Die Immo­bi­li­en-Haie dürf­ten tie­fe Taschen haben da ihr Geschäft ja offen­sicht­lich lei­der gut geht. Die Miet­prei­se stei­gen und Miet­woh­nun­gen wer­den in Eigen­tums­woh­nun­gen umge­wan­delt und mit rie­si­gem Gewinn ver­kauft. Auf­sto­cken muss kei­ner die­ser „Leistungsträger*innen“. Auch ein Blick auf die rasche Ver­meh­rung der Büros von Immo­bi­li­en­mak­lern in den letz­ten Jah­ren zeigt, dass da etwas neu­es ent­stan­den ist. Dazu passt, dass sich das Image von Hal­le lang­sam wan­delt. Wo es in den 90er und 00er Jah­ren von Orts­frem­den oft hieß, Hal­le sei gefähr­lich, schmut­zig und „ost­ig“, hört man nun oft nur posi­ti­ves. Ich hal­te das – man mag mir gro­be Pole­mik vor­wer­fen – für ein Unglück. Es ist ein Unglück, weil die hei­te­ren Zei­ten in denen kaum Zuzug war, in dem rei­che Erben ihr Geld woan­ders anleg­ten, vor­bei sind. Ich höre schon das Argu­ment der Gegner*innen: aber die kul­tu­rel­le Berei­che­rung, die jun­gen Leu­te. Hier fehlt der Platz für die­se Debatte.

Aber ich möch­te nur das ent­geg­nen: die neu­en Rei­chen sind nicht unbe­dingt eine Berei­che­rung für die Stadt. Und mei­ne zwei­te wenn man so will, Pole­mik ist die­se. Ich glau­be, wer eine Vier­tel oder gar eine hal­be Mil­lio­nen bezah­len kann für eine Woh­nung, der hat das Geld sehr oft geerbt. Im schlecht bezahl­ten Pfle­ge­sek­tor oder vie­len ande­ren wich­ti­gen Beru­fen hat er oder sie es sicher nicht zusam­men gespart. Was wir erle­ben ist also eine Umver­tei­lung des Raums in der Stadt zuguns­ten der Erben, bei Ver­drän­gung der nicht-Erben. Pro­bie­ren Sie es aus! Fra­gen Sie bei der nächs­ten Cock­tail­par­ty, die neu­en Wohnungsbesitzer*innen woher das Geld kam! (Und boh­ren Sie ruhig noch­mal nach, woher Oma und Opa das Geld hat­ten, vor allem damals, Sie wis­sen schon, die zwölf Jahre.)

Ideo­lo­gisch-anti­kom­mu­nis­ti­sche Stadt­po­li­tik (IAS)

Um zu erklä­ren, war­um in Neu­stadt wahr­schein­lich der größ­te Leer­stand der Repu­blik herrscht, wie gesagt die Stadt küm­mert sich nicht dar­um Zah­len vor­zu­le­gen, muss ich etwas aus­ho­len. Dafür müßen wir ver­ste­hen, dass der Kom­mu­nis­mus mau­se­tot ist aber der Anti­kom­mu­nis­mus noch lan­ge nicht. Der His­to­ri­ker Enzo Tra­ver­so stellt nüch­tern fest was in Deutsch­land heu­te ohne­hin offen­sicht­lich ist: die Mehr­zahl der Sozialwissenschaftler*innen betei­ligt sich seit rund drei­ßig Jah­ren an einer ver­zerr­ten und ten­den­ziö­sen Dar­stel­lung der Epo­che des so genann­ten Realsozialismus.1 Nur dass die ande­re Sei­te nicht mehr da ist, um ihre Stim­me dage­gen zu erhe­ben. Aus­nah­men wie Tra­ver­so gibt es, aber die sind natur­ge­mäß sel­ten. Die Sozio­lo­gin Jana Tsoneva brach­te das auf den Punkt:

The post-socia­list pre­di­ca­ment is a para­no­id one: more than 20 years after 1989, we live in a poli­ti­cal envi­ron­ment of extre­me anti-com­mu­nism with no tan­gi­ble “com­mu­nist thre­at” around that can be accu­sed to have trig­ge­red it. Unless such a thre­at is ima­gi­ned. As Der­ri­da has shown, Com­mu­nism died in 1989 but it later retur­ned as a spec­ter haun­ting anti-communists.(2)

Die­se Denk­fi­gur lässt sich auf die urba­ne Poli­tik über­tra­gen. Der ein­ge­bil­de­te Feind ist hier die Archi­tek­tur und Kunst des ehe­ma­li­gen Kom­mu­nis­mus und sei­ne Aus­trei­bung ist folg­lich deren Zerstörung.

Ich möch­te das die ideo­lo­gisch-anti­kom­mu­nis­ti­sche Stadt­po­li­tik (IAS) nen­nen. Die, so glau­be ich, wird über­all und auch in Hal­le betrie­ben von einer Grup­pe in Rat­haus und Wirt­schaft, die ganz genau weiß was sie will: mög­lichst alle Erin­ne­run­gen und vor allem die posi­ti­ven an die Deut­sche Demo­kra­ti­sche Repu­blik (DDR) ver­schwin­den lassen.
Dass es die DDR-Hasser*innen gibt muss ich nicht bewei­sen, das liegt auf der Hand. Ich fin­de auch, ich muss um das sagen zu kön­nen nicht behaup­ten, dass die DDR so gut war, wie sie sich selbst staats-offi­zi­ell dar­ge­stellt hat. (Schließ­lich behaup­tet jeder Staat erst ein­mal von sich, sehr gut zu sein.)

Noch mal Berlin

Schau­en wir aber­mals nach Ber­lin, wo die Kämp­fe um die Stadt, auch in ideo­lo­gi­scher Hin­sicht här­ter und deut­li­cher sind. Dass der Palast der Repu­blik mit dem vor­ge­scho­be­nen Grund der Asbest-beding­ten Unsa­nier­bar­keit abge­ris­sen wur­de (das ICC im West­teil wur­de sehr teu­er saniert obwohl ähn­lich belas­tet) und das hohen­zol­lern­sche Stadt­schloss wie­der­auf­ge­baut wur­de ist die unüber­seh­ba­re Spit­ze des Eisbergs.

In den 90ern gab es ernst­haft eine Debat­te im Senat, den Fern­seh­turm abzu­reis­sen. Der Turm wird von offi­zi­el­ler Sei­te boy­kot­tiert – indem in den U-Bah­nen das (eben­falls hohen­zol­lern­sche) Bran­den­bur­ger Tor auf die Schei­ben gedruckt ist und auf allen Stadt-offi­zi­el­len Prä­sen­ta­tio­nen zum Wahr­zei­chen gemacht wird. Der Fern­seh­turm hin­ge­gen ist der Rebell unter den Stadt­sym­bo­len. Aktu­ell ist jedoch ein neu­er Wol­ken­krat­zer mit noch nicht defi­nier­ter maxi­mal erlaub­ter Bau­hö­he am Alex­an­der­platz in Bau und wei­te­re sind in Pla­nung. Damit könn­te der Turm zumin­dest ein wenig in deren Schat­ten gestellt werden.
Weni­ger Bestand hat­ten ande­re Bau­ten aus der DDR: das Sta­di­on der Jugend der Welt muss­te der BND-Zen­tra­le wei­chen, das Haus des Außen­mi­nis­te­ri­ums vor dem Schloss wur­de abge­ris­sen, und das Haus der Sta­tis­tik (auch am Alex) harrt immer noch einer Nut­zung. Frei­lich, vie­le Häu­ser der DDR-Moder­ne ste­hen noch und wer­den nur ganz anders genutzt: im Haus des Leh­rers (am Alex) hält die Poli­zei und Sicher­heits­bran­che regel­mä­ßig ihre Kon­gres­se ab, im Staats­rats­ge­bäu­de ist eine neo­li­be­ra­le Wirt­schafts­hoch­schu­le (und hat sogar das Mosa­ik mit der Frie­dens­tau­be intakt gelas­sen), das Inter­ho­tel ist noch Hotel, das Welt­han­dels­zen­trum ist noch da und das Kino Inter­na­tio­nal ist sogar noch Kino. Inter­es­san­ter­wei­se darf da wo der Sieg gefei­ert wird, die Sym­bo­lik der DDR ste­hen blei­ben: im Staats­rats­ge­bäu­de oder ganz schlicht an einer Lit­fas­säu­le im Prenz­lau­er Berg, auf der noch die Tele­phon­num­mer der „Volks­po­li­zei“ zu lesen ist.

Claas Gefroi über­treibt in sei­ner in der KONKRET ver­tre­te­nen The­se: Es gehe die­ser ideo­lo­gi­schen Stadt­po­li­tik dar­um, „jede posi­ti­ve Erin­ne­rung an die DDR aus­zu­lö­schen, (…) fast alle wich­ti­gen archi­tek­to­ni­schen Sym­bol­bau­ten der DDR (zu) vernichte(n).“(3) Alles ist nicht ver­schwun­den. Ich hal­te die The­se mag sie auch über­trie­ben sein, im Kern für rich­tig: es gibt einen star­ken ideo­lo­gisch moti­vier­ten Wil­len, Erin­ne­run­gen an die DDR in Form von Wand­mo­sai­ken, Sta­tu­en, Plas­ti­ken und Sym­bol-träch­ti­ger Archi­tek­tur abzu­rei­ßen. (Wer das gar nicht glau­ben kann, soll­te sich ein­mal die Debat­te anse­hen um die Kunst­samm­lung der Wis­mut AG. Es gab und gibt Stim­men, die die voll­stän­di­ge Ver­nich­tung aller Bil­der und Pho­tos der sehr umfang­rei­chen Samm­lung (in Chem­nitz) for­der­ten und for­dern, weil eben alles mit der DDR ver­bun­den wäre und folg­lich schlech­te Kunst wäre.)

Für Hal­le gibt es mei­nes Wis­sens kei­ne von der Stadt geführ­te Lis­te der ver­lo­re­nen Monu­men­te aus der DDR-Zeit. Mei­ner Mei­nung nach sind es die­se: das Kino in Hal­le-Neu­stadt, der S-Bahn­hof Neu­stadt (auch bekannt als Glas­pa­last), das Sig­mund-Jähn-Pla­ne­ta­ri­um auf der Peiß­nitz, die Spann­be­ton-Brü­cken am Ernst-Thäl­mann-Platz (Rie­beck­platz) und an der Schwimm­hal­le Neu­stadt und wei­te­re, und der gesam­te Thäl­mann­platz mit den zwei gro­ßen blau­en Hoch­häu­ser­nund dem Fäus­te-Monu­ment am Ein­gang der Leip­zi­ger Stra­ße. Vom alten Thäl­mann­platz ist nur noch das Haus des Leh­rers mit aller­dings ganz neu­er Fas­sa­de erhal­ten, und etwas in Rich­tung Nor­den ist immer­hin das gro­ße Mosa­ik am Ein­gang des Büro­hau­ses gut erhal­ten. Auch ste­hen noch das ehe­ma­li­ge Inter­ho­tel, das aller­dings wohl abge­ris­sen wer­den soll und sei­ne Fas­sa­de schon lan­ge ver­lo­ren hat wie auch das ComCen­ter und diver­se Büro-Häu­ser. Sie sind zumin­dest von außen nicht mehr als Teil der sozia­lis­ti­schen Moder­ne zu erkennen.

Eine hal­le­sche Beson­der­heit ist immer­hin der Erhalt der Büs­te von Ernst Thäl­mann an der Francke­stra­ße. Solan­ge Eis­le­ben sei­ne Lenin-Sta­tue nicht wie­der auf­stellt hat Hal­le damit wahr­schein­lich die ein­zi­ge gro­ße Sta­tue aus der DDR-Zeit im öffent­li­chen Raum. Was fer­ner erhal­ten wur­de ist die „Fah­ne“ am Uni­ring, heu­te ziem­lich ver­steckt hin­ter dem Glas-Fas­sa­den-Neu­bau. Auch hier erschließt sich kein Kon­text und das war wohl ein Grund für ihren Erhalt. Ent­fernt und in Archi­ven ein­ge­la­gert wur­den die Sta­tue vom „Klei­nen Trom­pe­ter“, Fritz Wein­eck, der Ernst Thäl­mann im Volks­park-Saal das Leben geret­tet haben soll. Jede*r älte­re Hallenser*in kennt die Geschich­te. Wie vie­le wei­te­re Bron­zen und Beton­sta­tu­en ent­fernt wur­den weiß ich nicht, auch hier ist wei­te­re Recher­che nötig, die Stadt hat kei­ne Lis­te geführt. (Man mag ein­wen­den, dass Fritz Wein­eck nicht unum­strit­ten war. Schön und gut, aber für wel­che his­to­ri­sche Per­son trifft das nicht zu? War etwas H.D. Gen­scher unum­strit­ten? Die Eltern von Eli­sa­beth Käse­mann hät­ten ihm sicher kei­ne Ehrung durch die Umbe­nen­nung des Bahn­hofs­vor­plat­zes gewünscht..

(https://laika-verlag.de/index.php/bibliothek/dass-du-zwei-tage-schweigst-unter-der-folter-0)

Viel­leicht hat Wein­eck weni­ger zur Ret­tung von Thäl­mann bei­getra­gen als es die Legen­de will. Aber im Gegen­satz zu Gen­scher, Emil Abder­hal­den und vie­len wei­te­ren, hat er gegen Ras­sis­mus und Aus­beu­tung gekämpft.

Abriss hat Tra­di­ti­on in Halle

Nicht ver­schont blie­ben vie­le Wand­mo­sai­ke wie das an der Neu­städ­ter Schwimm­hal­le das die Okto­ber­re­vo­lu­ti­on zeig­te. Die zwei gro­ßen Mosai­ke am Bruch­see des mexi­ka­ni­schen Künst­lers Renau brö­ckel­ten lan­ge vor sich hin, wer­den aber laut dubisthalle.de im nächs­ten Jahr saniert.

Es scheint zunächst die Lie­be zum Abriss zu sein, wie sie der hal­le­schen Stadt­ver­wal­tung beson­ders gefällt. Wel­che Stadt kommt sonst auf die Idee, ihr ältes­tes Haus (in der Mit­tel­stra­ße) zer­stö­ren zu wol­len, statt zu reno­vie­ren? Tat­säch­lich konn­te die Mit­tel­stra­ße geret­tet wer­den, aber wie beim Künst­ler­haus 188 war eine Initia­ti­ve von außer­halb des Rat­hau­ses nötig. Wäre es nur nach dem Rat­haus gegan­gen, wären bei­de so wie der „Bau­ern­club“ und vie­le vie­le ande­re abge­ris­sen wor­den. Aktu­ell droht dem ehe­ma­li­gen Leucht­turm der Sub­kul­tur, dem „La Bim“ hin­term leip­zi­ger Turm die Zerstörung.

Die Stadt hat vor und nach dem Ende der DDR 1990 gan­ze Vier­tel abge­ris­sen. So wur­de unge­fähr die Hälf­te des Schwem­me-Vier­tels schon Ende der 1970er und Anfang der 1980er zer­stört. Nach der Wen­de been­de­te das Rat­haus das gan­ze und ließ was noch Stand, abrei­ßen. Wo vor­her ein zuge­ge­ben selbst für hal­le­sche 80er Jah­re-Ver­hält­nis­se her­un­ter­ge­kom­me­nes Vier­tel stand, thront nun seit den 1990ern ein eine der typi­schen ästhe­ti­schen Fehl­leis­tung und beläs­tigt die Öffent­lich­keit mit die­ser Anti-Ästhe­tik. („MDR-Spit­ze“)
Das halb abge­ris­se­ne Schwem­me­vier­tel mit neu­em Bus­bahn­hof 1981. Rechts ist die Mari­en­kir­che, im Hin­ter­grund noch die Hälf­te des Vier­tels. Heu­te ist alles Teil der ästhe­ti­schen Fehl­leis­tung mit dem anma­ßen­den Namens „Spit­ze“

Wel­che Stadt kommt 30 Jah­re NACH der Wen­de auf die Idee, einen kul­tu­rel­len Leucht­turm wie das LaBim-Kino abzu­rei­ßen und statt des­sen das gan­ze Vier­tel ohne städ­ti­sche Mit­spra­che an einen Immo-Hai zu ver­schleu­dern, ohne irgend­wie dar­auf zu ach­ten, was dann gebaut wird? (Wir ahnen es schon: „Hier baut XY hoch­wer­ti­ge Eigen­tums­woh­nun­gen für Sie“ mit Gefäng­nis­git­ter­bal­ko­nen, SUV-Tief­ga­ra­ge und Kies-Vor­gar­ten des Grau­ens. Das gan­ze dann wahr­schein­lich ab 350.000 Euro die Wohnung.)

Kein Zwei­fel, vie­le Ver­hee­run­gen in Hal­le gehen auf das Kon­to des Bezirks der Stadt, wie die Stadt-Regie­rung zu DDR-Zei­ten hieß. Als eine der weni­gen Städ­te, die den Krieg mit rela­tiv sehr weni­gen Schä­den über­stan­den hat­te, fällt die Ent­schul­di­gung mit Kriegs­schä­den für Hal­le weit­ge­hend weg. Dass die DDR der irr­sin­ni­gen Auto-Ideo­lo­gie von LeCor­bu­si­er folg­te war eine Sache, dass Hal­le dafür mit der Hoch­stra­ße eine Art Auto­bahn-Schnei­se durch die Alt­stadt schlug eine ande­re. Die­sen bru­ta­len Umbau zur soge­nann­ten „Auto-freund­li­che Stadt“ und damit zur men­schen- und gar­ten­feind­li­che Stadt hal­te ich für einen der Tief­punk­te der Stadt­po­li­tik. (Urba­ne-Gär­ten-Mani­fest )

Rie­beck­platz als ideo­lo­gi­scher Stadtumbau?

So schlimm das Ver­wahr­lo­sen vie­ler Vier­tel in der DDR-Zeit war, es ist nicht bes­ser gewor­den durch den Abriss der Häu­ser die zur DDR-Moder­ne gehö­ren. Der Jugend­stil und die ehe­mals leben­di­gen Vier­tel kom­men damit nicht zurück, wie der sehr ste­ri­le und lang­wei­li­ge Rie­beck­platz am Ein­gang der Leip­zi­ger Stra­ße ein­drück­lich zeigt. Und war die Zer­stö­rung des Rie­beck­platz-Ensem­bles und der bei­den blau­en Tür­me nicht auch eine sym­bo­li­sche Kas­tra­ti­on, ein gewoll­tes Ver­schwin­den­las­sen der sozia­lis­ti­schen Moder­ne? Sicher, gera­de anhim­melnd „schön“ waren sie nicht. Aber hat­ten sie nicht vie­le Hallenser:innen lieb gewonnen?

So schlimm das Ver­wahr­lo­sen vie­ler Vier­tel in der DDR-Zeit war, es ist nicht bes­ser gewor­den durch den Abriss der Häu­ser die zur DDR-Moder­ne gehören.

Die Sanie­rung wäre teu­er gewe­sen und die Kos­ten waren ein Grund für den Abriß, über den der Stadt­rat lan­ge dis­ku­tiert hat. Aber ohne lan­ges leer-ste­hen-Las­sen wären auch die­se Kos­ten gar nicht erst ent­stan­den. So ist der Leer­stand eben unter Umstän­den ein Mit­tel, um eine poli­ti­sche Ent­schei­dung ein einen ver­meint­lich unpo­li­ti­schen Sach­zwang zu ver­mei­den. Und neben­bei bemerkt, hät­ten die Tür­me noch ein paar Jah­re ste­hen dür­fen – heu­te hät­te sich ein Inves­tor gefun­den. Sie wur­den kurz vor dem Stei­gen der Boden­prei­se abgerissen.

Das 20. Jahr­hun­dert war nicht „schön“, und der alte Thäl­mann-Rie­beck­platz mit den Fäus­ten hat das ohne jeden Kitsch reprä­sen­tiert. Der Platz ist heu­te min­des­tens so unwirt­lich wie der alte. (angeb­lich gibt es weni­ger Auto-gegen-Auto-Unfäl­le, mei­nes Erach­tens wird es aber mehr Fahr­rad-Fuß und Fuß-und-Fahr­rad-Tram-Unfäl­le geben wegen der Platz­knapp­heit im neu­en Tun­nel. (https://www2.soziologie.uni-halle.de/publikationen/pdf/9401.pdf, S. 5-6) Und etwas ande­res als Beton und Autos war und ist nicht vor­han­den. Nur feh­len jetzt bei­de: Wahr­zei­chen der Stadt, und die his­to­ri­sche Erin­ne­rung dar­an und bezahl­ba­re Woh­nun­gen in den Tür­men. (Mit dem Fäus­tedenk­mal ging die ein­zi­ge inner­städ­ti­sche Klet­ter­wand mit Abseil-Mög­lich­keit verloren.)

War es Absicht oder nur in Kauf genom­men, dass der Wohn­raum am Steg und Rie­beck­platz jedes­mal mit ver­knappt wurde?

Was mit dem poli­tisch moti­vier­ten Abriss der Denk­mä­ler begann, fin­det heu­te sei­ne Radi­ka­li­sie­rung im Über­grei­fen auf Wohn­häu­ser. Der Rie­beck­platz war nach dem Abriss der Hoch­häu­ser am Steg der Ort, an dem bei­des zusam­men­fiel. Soll­ten nicht die Denk­mä­ler weg, und damit die his­to­ri­sche Erin­ne­rung und das gesam­te Ensem­ble? War es Absicht oder nur in Kauf genom­men, dass der Wohn­raum am Steg und Rie­beck­platz jedes­mal mit ver­knappt wurde?

Nicht nur im Zen­trum und Wes­ten, auch in der Sil­ber­hö­he wur­den Plat­ten­bau­ten, dar­un­ter zwei Punkt­hoch­häu­ser, abge­ris­sen. Gera­de die für Hal­le typi­schen Punkt­hoch­häu­ser als höchs­te Bau­ten sind oder viel­mehr waren prä­gend für das Stadt­bild. Im eng­li­schen spricht man von „city-scape“ oder alt­mo­disch, vom „Weich­bild“ der Stadt, also ihrer Sil­hou­et­te. Nun mag wer nie in der Sil­ber­hö­he gelebt hat, dem wenig abge­win­nen kön­nen. Aber mache Silberhöher:innen fan­den die Punkt­hoch­häu­ser für ihr Vier­tel prä­gend und ver­mis­sen sie. Auch hier kann es nicht bewie­sen wer­den aber doch ver­mu­tet, dass absicht­lich gera­de die mate­ri­ell und sym­bo­lisch her­aus­ra­gen­den Häu­ser abge­ris­sen wurden.

Wenn wir hier noch ein­mal den Ver­gleich zu Ost­ber­lin zie­hen, wir deut­lich wie viel aggres­si­ver die­ser Umbau in Hal­le war. Wäh­rend die Karl-Marx-Allee (vom Alex zum Frank­fur­ter Tor) sogar unter Denk­mal­schutz gestellt wur­de, und der Alex selbst weit­ge­hend erhal­ten ist als Wahr­zei­chen der sozia­lis­ti­schen Moder­ne, ist vom Äqui­va­lent dazu in Hal­le wenig übrig. (Ja, der Alex war und ist ein­la­den­der als der alte und neue Rie­beck­platz, ohne Fra­ge, den­noch ist die hal­le­sche Ent­spre­chung für eine teu­re und hohe Sym­bolar­chi­tek­tur wie den Fern­seh­turm mei­nes Erach­tens das Turm-Ensem­ble am Rie­beck­platz gewesen.)

Läs­ti­ger Leer­stand – läs­tig für wen?

Es stimmt, dass die städ­ti­schen Woh­nungs­bau­ge­nos­sen­schaf­ten für den Leer­stand auf­kom­men muss­ten. Jedoch kos­tet zum einen ein gewis­ser Leer­stand nicht viel. Solan­ge nur Woh­nun­gen und nicht das gan­ze Haus leer steht ist das kein gro­ßer Kos­ten­fak­tor. Und die Zei­ten in denen sich kei­ne Mieter*innen in Hal­le fin­den, sind vor­bei. Ich möch­te behaup­ten, dass heu­te jede eini­ger­ma­ßen akzep­ta­ble Woh­nung, die preis­wert ist, auch ver­mie­tet wird. Das Argu­ment der Unver­miet­bar­keit zählt schon lan­ge nicht mehr, denn Hal­le ist vom Schrump­fen in eine neue Wachs­tums­pha­se übergegangen.

Die pri­va­te Woh­nungs­wirt­schaft ist ine Min­der­heit in Hal­le, aber schein­bar eine mit mehr Ein­fluss auf Stadt­rat und Ver­wal­tung als die ca. 200.000 Mieter*innen. Um es ein­mal deut­lich zu sagen: Der Abriss nutzt ein­zig und allein den Immobilienbestizer*innen und Kon­zer­nen, er scha­det ein­sei­tig den Mieter*innen.
Was pri­va­te Immo-Haie machen, ist einen Wert den es schon gibt, Häu­ser, zu neh­men und unver­än­dert teu­rer zu machen. Immo-Hai nüt­zen nie­man­den außer sich selbst und daher sind sie auch kei­ne „Indus­trie“, denn der Neu­bau ist gera­de in Hal­le nur ein sehr klei­nes Seg­ment ihres Geschäftes.

Rech­te und Lin­ke Stadträume

Die Zeit­schrift Arch+ hat mit der Aus­ga­be „rech­te Räu­me“ (https://archplus.net/de/archiv/ausgabe/235/) einen Streit ange­zet­telt zwi­schen Rekon­struk­ti­ons­be­für­wor­tern und -Geg­nern. Kurz zusam­men­ge­fasst ging es Arch+ dar­um zu zei­gen, dass es seit den spä­ten 1990er Jah­ren nicht zufäl­lig so vie­le Rekon­struk­tio­nen von impe­ria­ler und sakra­ler Archi­tek­tur gab (Frau­en­kir­che, Hohen­zol­lern­schloss, Innen­stadt von Pots­dam, Frank­furt Main und wei­te­re) son­dern dass dies Teil einer pas­si­ven Revo­lu­ti­on im Bereich der Archi­tek­tur ist. In ganz Euro­pa wird die Archi­tek­tur der pro­gres­si­ven Moder­ne des 20. Jahr­hun­derts abge­ris­sen, wäh­rend die vor­de­mo­kra­ti­schen Archi­tek­tu­ren wie­der her­ge­stellt wer­den, so Arch+. Die The­se kann hier nicht aus­ge­führt wer­den, dafür wur­de ihr ja ein gan­zes Heft gewidmet.
Was frei­lich in Arch+ fehlt ist ein Hin­weis auf „lin­ke Räu­me“ der Stadt, es wird nur fest­ge­stellt, dass „rech­te Räu­me“ wie eben die der Hohen­zol­lern wie­der her­ge­stellt werden.
In Hal­le waren die bekannt­lich nicht ver­tre­ten, dafür umso mehr die Moder­ne des letz­ten Jahr­hun­derts. Auch wenn bei jedem ein­zel­nen Abriss öko­no­misch argu­men­tiert wird, hal­te ich die Sum­me aller Abriß­ent­schei­dun­gen für das Ergeb­nis eines ideo­lo­gi­schen Wil­lens zum sym­bo­li­schen Umbau der Stadt. Auch wenn Gefroi über­treibt, glau­be ich dass er rich­tig liegt. Es gibt einen star­ken Wil­len, die DDR nicht nur in der His­to­rio­gra­phie und Kul­tur zu dis­kre­di­tie­ren, son­dern auch dar­um ihre archi­tek­to­ni­sche Erin­ne­rung mög­lichst schlecht da ste­hen zu las­sen (vgl. Wolf­gang Wip­per­mann, Dämo­ni­sie­rung durch Ver­gleich, DDR und drit­tes Reich.)

Wenn Hal­le eine Karl-Marx-Allee hat, dann wäre es mei­ner Mei­nung nach die Magis­tra­le in Neu­stadt, unge­fähr von der Feu­er­wa­che bis zur Schwimm­hal­le. Dort sind nun die Spann­be­ton­brü­cken alle abge­ris­sen, das glä­se­ren S-Bahn-Haus und zwei Häu­ser ste­hen leer, eines davon sieht schon sehr schlecht aus. Ich mei­ne, dass gera­de hier, wo so etwas wie ein ästhe­ti­sches Asem­ble noch erhal­ten ist, abge­ris­sen wer­den soll, spricht für eine sol­chen Wil­len zum ideo­lo­gi­schen Umbau der Stadt. Und ich habe gro­ße Zwei­fel am jedes­mal kurz­fris­tig vor­ge­tra­ge­nen Kos­ten­ar­gu­ment. So wur­den mit die­sem einer­seits vie­le Schul­ge­bäu­de abge­ris­sen. Ande­rer­seits muss­te dann eine neue Schu­le am Holz­markt auf der ande­ren Saa­le­sei­te gebaut wer­den. Die Schüler:innen müs­sen dort nun mit Bus und Tram hin­fah­ren statt ein­fach zu den alten Gebäu­den lau­fen zu kön­nen. Das war auf län­ge­re Zeit­pe­ri­ode gese­hen sehr unöko­no­misch. Es wäre güns­ti­ger gewe­sen, die alten Gebäu­de zu erhalten.

Ich hof­fe ja oft, dass all das nicht funk­tio­niert. Dass das gan­ze anti-DDR und anti-kom­mu­nis­ti­sche Getö­se als die Pro­pa­gan­da erkannt wird, die es nun ein­mal ist. Aber ich wer­de immer wie­der eines Bes­se­ren belehrt, gera­de bei den jün­ge­ren ver­fängt es doch. Eine Freun­din woll­te nicht glau­ben, dass es in der DDR kei­ne Obdach­lo­sen gab (mei­net­we­gen, fast kei­ne, irgend­wo wird es einen gege­ben haben). Ein Land ohne die­ses Elend – irgend­wo auf der Welt, irgend­wann - kann sie sich ein­fach nicht vor­stel­len, sag­te sie.

Poli­tik der Entpolitisierung

Es war nicht so, dass es vor­her eine gro­ße Ankün­di­gung für einen sol­che Stadt­um­bau gab, weil es dann viel­leicht eine Debat­te gege­ben hät­te, und viel­leicht wol­len die man­che lie­ber ver­mei­den und schaf­fen eben schnell Fak­ten. (So wur­de das Wand­bild „Marsch der Jugend“ des inter­na­tio­nal renom­mier­ten Künst­lers, Josep Renau, vor­schnell abge­ris­sen, bevor es eine Dis­kus­si­on hät­te geben kön­nen.) Zum Fak­ten-schaf­fen gehört mei­ner Mei­nung nach, die Häu­ser erst ein­mal lan­ge genug ver­fal­len zu las­sen, um dann sagen zu kön­nen man müs­se den Schand­fleck nun ent­fer­nen, alles ande­re sei zu teuer.

Wenn ich heu­te durch Neu­stadt, wo ich eini­ge Jah­re als Kind auf­ge­wach­sen bin, fah­re, dann fin­de ich die Ecke am Frau­en-Brun­nen (gegen­über der Ska­ter-Bahn) und den klei­nen Platz in der Ost­sei­te der Neu­städ­ter Pas­sa­ge schön und ein­la­dend. Beim Wohn­kom­plex I (am Gas­tro­nom, links der Schwimm­hal­le) fällt mir ein, dass dort Wer­ner Bräu­nig gelebt hat, der ein­zi­ge Schrift­stel­ler den Ha-Neu hat­te und Autor des groß­ar­ti­gen (in der DDR ver­bo­te­nen) Romans „Rum­mel­platz“. (Ber­lin-Hel­lers­dorf hat in einem ähn­li­chen Fall dem Schrift­stel­ler Ronald Scher­nikau, der so nett war in Hel­lers­dorf zu ster­ben, immer­hin eine Gedenk­ta­fel gestif­tet. )Auch fin­de ich, hat der Treff, wenn man so will, neu­er­dings einen gewis­sen mul­ti­kul­tu­rel­len Charme und auch die Schlucht zwi­schen Schei­ben und altem „Zen­trum Neu­stadt“ hat eine gewis­se Moder­ni­tät gemischt mit Morbidität.

Im Wes­ten den­ken Leu­te bei Hal­le-Neu­stadt an Nazis und Plat­ten. Aber die Rei­hen­fol­ge war doch so: die sym­bo­li­sche Abwer­tung, der kul­tu­rel­le und künst­le­ri­sche Rück­bau und die Ver­wahr­lo­sung an man­chen Ecken kamen bevor die AfD hier zwei­stel­lig abräu­men konn­te. Das soll nicht im Umkehr­schluss hei­ßen, der ideo­lo­gi­sche Umbau wäre schuld am Auf­stieg der Nazi­sze­ne und AfD. Das ist ohne Zwei­fel kom­ple­xer, und hier ist nicht der Ort um das zu dis­ku­tie­ren. Aber ich möch­te es doch ein­mal Anmer­ken, dass der gro­ße Auf­stieg der neo­fa­schis­ten in die Par­la­men­te nicht nach dem Mau­er­fall kam, son­dern rund zwan­zig Jah­re spä­ter, nach­dem die BRD in jeder Hin­sicht ein­schließ­lich der Erin­ne­rung an die DDR und der Stadt­um­bau­pro­jek­te, nicht nur in Hal­le, ihren Wil­len bekom­men hat.

Gefroi schreibt, die Ent­fer­nung der Kunst im öffent­li­chen Raum und der Sym­bolar­chi­tek­tur in den Plat­ten­bau­ge­bie­ten, „sol­len davon kün­den, dass die DDR ihren Bür­gern nicht mehr als ein Leben im Exis­tenz­mi­ni­mum ohne jeden Anspruch auf Schön­heit oder Urba­ni­tät zubil­lig­te: Schaut, eine sol­che Mono­to­nie ent­steht, wenn eine Gesell­schaft ega­li­tär und eine Wirt­schaft diri­gis­tisch wird!“4
Man mag das für pole­misch und über­spitzt hal­ten. Aber im Kern ist die­se Art des Stadt­um­baus ein Ein­griff in das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis. Denn das die Plat­ten zur DDR gehö­ren weiß jede:r, dass viel Kunst und klei­ne Schön­hei­ten hier und da ent­fernt wur­den wis­sen hin­ge­gen mit dem Genera­tio­nen­wech­sel immer weniger.

Ich fin­de, die Bewohner*innen in Hal­le Neu­stadt soll­ten auf­hö­ren, sich das gefal­len zu las­sen. Weder die sym­bo­li­sche Abwer­tung noch die prak­ti­sche Ver­nach­läs­si­gung (die es selbst im Pau­lus­vier­tel gibt, wo die Fuß­we­ge zu Auto-Park­plät­ze degra­diert wer­den) ist akzeptabel.

Was zu tun ist

Die Zei­ten mit Leer­stand sind so vor­bei wie der „Kal­te Krieg“. Hal­les Bevöl­ke­rung wächst und Mieter*innen soll­ten für einen Mie­ten­de­ckel, eine Miet­preis­brem­se und einen qua­li­fi­zier­ten Miet­spie­gel kämp­fen. Die Magis­tra­le und ihr Plat­ten­bau Ensem­ble und die letz­ten erhal­te­nen Flie­ßen-Fas­sa­den soll­ten unter Denk­mal­schutz gestellt wer­den. In der Innen­stadt ist das schon mit einer Plat­te gesche­hen – ein Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung. (https://hallespektrum.de/nachrichten/vermischtes/erster-plattenbau-in-halle-steht-unter-denkmalschutz/162704/)

Im Moment wäre es für Hal­le aber schon ein Schritt, end­lich mit dem Abriss auf­zu­hö­ren. Ich glau­be nicht, dass das schon so sicher ist wie vie­le mei­nen. Selbst in Ber­lin wer­den Häu­ser abge­ris­sen für die Stadt­au­to­bahn, selbst dort ste­hen mög­li­che Wohn­häu­er leer (am Sta­si-Muse­um und am Alex). Das kann genau­so gut in Hal­le pas­sie­ren, nur weil Woh­nungs­not ist und die Prei­se stei­gen, regelt der Markt noch längst nichts.

Dazu kommt heu­te noch die Öko­lo­gie. Ein­mal im Über­fluß vor­han­de­ne Bau­stof­fe wie Sand sind heu­te welt­weit zuneh­mend knapp. Bau­en wird damit immer teu­rer. Für den Zement wer­den gro­ße Men­gen Ener­gie benö­tigt. Der Abraum aus dem Abriss wie­der­um ist oft belas­tet und schwer zu ent­sor­gen­der Müll. Ein einem Wort: Erhalt ist öko­lo­gisch gut, Abriß ist klimaschädlich.

Der Stadt­rat könn­te dem Abriss jeder­zeit und sofort ein Ende machen. Die HWG kann ange­wie­sen wer­den, damit auf­zu­hö­ren. Sie soll­te viel­mehr über­le­gen, ob sie nicht per Kre­dit zusam­men mit der Stadt die Häu­ser für die Nach­ver­dich­tung baut, statt es pri­va­ten Fir­men zu über­las­sen. Das hie­ße natür­lich, dort neu zu bau­en, wo vor weni­gen Jah­ren abge­ris­sen wur­de. Das ist etwas absurd, aber das Ein­ge­ständ­nis, dass es ein Feh­ler war, ist der ers­te und not­wen­di­ge Schritt. Der nächs­te ist es, zu schau­en, wie über­haupt noch preis­wert gebaut wer­den kann in Zei­ten explo­die­ren­der Baumaterialpreise.

Ein brei­tes Bünd­nis gegen „Mie­ten­wahn­sinn“, Abriss und die dis­kri­mi­nie­ren­de Ver­nach­läs­si­gung der Plat­ten­bau­vier­tel wäre gut für die Stadt.

 

Fer­di­nand Barizon

ist in Hal­le Neu­stadt auf­ge­wach­sen, ist heu­te noch oft dort.

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