Deutschlands erste Folkmusikschule residiert in Halle/ Giebichenstein und besteht aus einer bescheidenen Erdgeschosswohnung. Ein paar Plakate an den Wänden, einen Koffer voller Flöten und eine Zimmerpalme– mehr brauchte es nicht, um ein El Dorado für die hiesige Musikszene zu schaffen.
Folkmusiker legen eben selten Wert auf Luxus oder Äußerlichkeiten. Alan Doherty trägt Turnschuhe, Jeans und Dreitagebart. Man könnte ihn für einen Computernerd halten oder einen dieser Jungs, die zu viele HipHop-Clips geguckt haben. Immer Montags empfängt er seine Schüler, von denen manche ein paar hundert Kilometer Anfahrt für eine Lektion in Kauf nehmen. Einen Notenständer sucht man hier vergeblich. Zum Konzept der Schule gehört, dass grundsätzlich aus dem Gehör gespielt wird. Rund 15 Instrumente kann man hier so erlernen, von der Rahmentrommel bis hin zum Dudelsack.
Tempo und Improvisationsfreude
Doherty gilt als Meister auf der Holzquerflöte und der Tin Whistle – neben der Harfe die wichtigsten Nationalinstrumente der Iren. Sein Spiel strotzt vor Tempo und Improvisationsfreude und es kann die alte keltische Tradition in unsere Zeit transportieren. Für diese Gabe wird er weltweit geschätzt. Regelmäßig bereist er als Dozent für Workshops und Meisterklassen alle Kontinente. „Ich bin sehr gerne Lehrer“, sagt der gebürtige Dubliner mit dem typischen Akzent, „weil ich selbst eine Menge dabei lernen kann.“
Nach Deutschland geführt habe ihn die Liebe, gibt der Dreiunddreißigjährige freimütig zu und lächelt. Vor kurzem erst hat er standesgemäß Hochzeit in einem Irish Pub gefeiert. Um gemeinsam mit seiner Frau hier zu leben, hat Alan auch seine erfolgreiche Band „Gráda“ verlassen. Die Zeit der aufreibenden Tourneen mit bis zu 180 Konzerten pro Jahr soll nun erst einmal vorbei sein.
"Es kommt von innen, aus dem Atem"
Erst vor wenigen Monaten hat Doherty die Aufnahmen für eine große Anthologie in CD- und Buchform abgeschlossen und arbeitet nun an seinem ersten Soloalbum. Dafür hat er jahrelang Ideen für eigene Stücke zusammengetragen. „Das ist ein bißchen aufregend“, fügt er leise hinzu und erzählt von seinem früheren Leben unterwegs. Bei den vielen Tourneen durch die USA, Europa, Japan oder Australien habe sich eine Menge Material angesammelt. Immer wenn Zeit übrig war, saß er mit einem Laptop irgendwo im Tourbus oder backstage, um Einfälle für Stücke zu skizzieren. Diese Leidenschaft hatte er schon als Kind entwickelt. „Ich war richtig antisozial, habe immer nur im Bett gelegen und etwas zusammengemixt auf dem Computer.“ Später auf dem College hatte er neben dem Instrumentalunterricht auch eine professionelle Ausbildung in Tontechnik und Sound Engineering genossen – die Basis für sein späteres Studio in Dublin. Auf jeden Fall aber sei der Horizont ein anderer geworden in diesen wilden Jahren. „Ich bin sehr beeinflusst von afrikanischer und indischer Musik und ich experimentiere mit dem Gesang. Man sagt, wenn Du ein guter Flötist bist, dann bist Du auch ein guter Sänger. Es kommt von innen, aus dem Atem. Ich versuche einfach ein bisschen mit meinen Einflüssen zu experimentieren.“
Beschauliches Leben nach Welt-Tourneen
Sein Leben in Deutschland hat der Weitgereiste sehr zu schätzen gelernt. „Es ist interessant, eine völlig andere Kultur. Ich mag es, in einer kleinen Stadt wie Halle zu leben.“ Überraschend war für ihn der hohe Standard der Folkszene hierzulande, auch wenn man manchmal weit reisen müsse für eine gute Session. Es gehe aber nicht immer nur um die Qualität beim Musizieren: "Eine gute Session – das ist auch die Fähigkeit, gemeinsam einen schönen Abend zu verbringen, zu entspannen bei ein paar Bieren oder Apfelschorlen, mit ein paar Leuten, einfach ein bißchen Spaß zu haben.“
Beim Thema Kneipenkultur beginnt Alan schließlich doch von seinem Heimatland zu schwärmen. In den Bars von Dublin, beim Mitspielen in den Sessions, habe er am meisten über Musik gelernt. Die Luft dort war ihm seit der Kindheit vertraut. Der Vater, ein traditioneller Balladensänger, nahm ihn am Wochenende einfach mit, wenn er nach dem Job in einer Zigarettenfabrik seine Konzerte gab. „Ich wurde rumgereicht und sollte dann auch etwas singen. Das ist so üblich in Irland und mir hat es gefallen.“ Als Alan mit sechzehn die Schule verließ, um Musik zu studieren, waren die Eltern dagegen, aber er war es längst gewohnt, seine eigenen Wege zu gehen.
Hobbit - nie gehört...
Nach dem Studium reiste er für ein Jahr durch Australien, das Land mit den meisten irischstämmigen Einwanderern nach den USA. Dort erreichte den gerade mal Zwanzigjährigen irgendwann plötzlich ein Anruf von Howard Shore, dem Komponisten der Filmmusik von „Der Herr der Ringe“: „Ich hatte noch nie etwas davon gehört, auch das Buch kannte ich nicht. Ich wußte nicht, was ein Hobbit ist. Sie meinten, es ist eine wirklich große Produktion und sie wollten mich für die Flötenparts. Jeder sagte zu mir: mach es, mach es!“ Alan hängte noch ein paar Monate an seine Reise und ließ sich nach Neuseeland fliegen, wo der Film gedreht und auch der gesamte Soundtrack aufgezeichnet wurde. Zusammen mit dem „New Zealand Symphony Orchestra“ spielte er in Wellington die später oskarprämierte Musik ein.
Zurück in Irland gründete er dann mit zwei Studienfreunden im Jahr 2001 die Band Gráda – von Anfang an eine Erfolgsgeschichte. „Wir gaben unser erstes Konzert in einer Bar. Es war sogar für meine Collegefreunde ausverkauft. 40 oder 50 Leute standen vor der Tür und kamen nicht mehr rein. Danach entschieden wir uns eine CD zu machen mit Trevor Hodgeson von den Waterboys. Plötzlich bekamen wir ganz schnell Kontakte zu Agenturen und konnten in Amerika und Europa auf Tour gehen. Es wurde Wirklichkeit.“
Eine Menge Arbeit - auf der Insel und hier
Heute betreibt Alan in Dublin ein eigenes Musikstudio, wo er bekannte und unbekannte Künstler produziert. Für Aufnahmen und um Projekte zu schmieden, fliegt er häufig auf die Insel. „Es gibt viele junge Bands dort, eine Menge Arbeit“. Befragt über seine Ideen und Pläne für die Zukunft, weiß Alan Doherty eine überraschende Antwort zu geben: „Ich denke, die deutsche Musik ist der irischen Folkmusik sehr ähnlich. Mein nächstes Projekt wird die Produktion eines deutschen Folk-Albums sein. Meine Frau übersetzt dafür gerade ein paar Songs ins Englische. Es sieht so aus, als ob es funktioniert.“
Jörg Wunderlich
Folkmusikschule Halle (FMS)
Triftstr. 8/06108 Halle (Saale) Tel.: 0178 / 710 27 98
Internet: www.folk-musikschule-halle.de