Der „Mietenwahnsinn“ ist in Berlin, Hamburg oder München Alltagsgespräch. Aber auch in mittelgroßen Großstädten können die Wohnkosten in kurzer Zeit exponentiell ansteigen. Freiburg im Breisgau ist ein extremes Beispiel dafür – Leipzig ist imVergleich zum Status von vor einigen Jahren immens teuer geworden. In Halle wächst zunehmend ein Bewusstsein, dass die Zeiten günstigen Wohnens vorbei sind. Dennoch wird im Rathaus jedoch immer noch gehandelt, als wäre Wohnungsnot „ein Fremdwort“.
Anders ist nicht zu erkären, wie bei rasant steigenden Mietkosten weiterhin große Neubaublocks im Süden und in Neustadt abgerissen werden oder darauf hin vorbereitet werden durch langen Leerstand.
In Städten mit „Mietenwahnsinn“ wird das Wohnen für immer größere soziale Gruppen unbezahlbar, und es folgt die Verdrängung an den Stadtrand, aus der Stadt hinaus, oder für manche in die Obdachlosigkeit oder beengte Wohnverhältnisse. Eine Familie mit Kind in einer Einraumwohnung galt bis vor kurzem als unzumutbar, aber vielerorts ist das wieder der Fall was wir glaubten nur aus dem Schulbuch über die Vorkriegszeit zu kennen. Währenddessen sitzen manche ältere Leute in viel zu großen Wohnungen und würden sich gerne verkleinern, können aber nicht, weil sie ihren zwanzig Jahre alten Mietvertrag sonst verlassen müßten und eine neue Wohnung mit zwei Zimmern manchmal teurer ist als eine alte mit fünf. So wohnen beide schlecht, die junge Familie und das ältere Ehepaar. Währenddessen stehen immer noch Häuser und Wohnungen leer. Immerhin ist das neuerdings in Berlin unter dem Stichwort Zweckentfremdungsverbot nicht mehr erlaubt, obwohl es zu wenig durchgesetzt wird. Das zeigt jedoch, so etwas wie ein Verbot politisch jederzeit möglich ist.
Der Markt kriegt gar nix geregelt
Das alles sollte reichen, um noch dem letzten Markt-Gläubigen vor Augen zu führen, dass der Markt allein erst einmal gar nichts regelt. Genauer gesagt, funktioniert der Wohnungs-Markt hervorragend, aber nur für die kleine Gruppe der Immobilienbesitzer*innen und nicht für die große Mehrheit der Leute, die irgendwo wohnen wollen. Wenn also die FDP sagt, der Markt regelt es, dann hat sie Recht, insofern Sie damit die Millionär*innen meint. In deren Sinne muss sich nichts ändern und jeder Eingriff ist Sozialismus wenn nicht gleich „extremistisch“. Dabei tut uns die FDP immerhin den Gefallen, sich deutlich zu positionieren. Außer von der Linkspartei jedoch fordert derzeit keine Kraft im Parlament einen bundesweiten Mietendeckel nach Berliner Vorbild. Für die Immobilienhaie ist das ein rotes Tuch, für viele Miete ist es die einzige Chance, jemals wieder einen bezahlbaren Vetrag zu bekommen. Denn im Moment gehen die Preise „durch die Decke“ - ein Ende ist nicht in Sicht.
Viele Blöcke stehen ganz leer
In Halle-Neustadt droht immer noch was andernorts politisch undenkbar wäre: der Abriss von Wohnungen. Viele Blocks stehen komplett leer und verwahrlosen: Aralienstraße 1, an der Magistrale 71 – 81 (gegenüber Zentrum Neustadt), -Wohnkomplex I/4 an der Magistrale 105 – 109 (gegenüber Schwimmhalle Neustadt), Zscherbener Straße 12 – 15 (ehemals Plateblock, unterm Gastronom), das ehemalige Studierenden-Wohnheim in der Richard-Paulick-Straße. In der Südstadt und der Silberhöhe sind ebenfalls viele Wohnblocks abgerissen worden. Die Stadt selbst legt keine Liste vor weil das eben kein Thema ist und scheinbar keines sein soll.
Dazu kommt der Leerstand und Verfall von drei der fünf Scheiben-Hochhäuser. Zusammen sind das hunderte Wohnungen für tausende Mieter*innen. Wenn die dem Markt entzogen sind indem sie leer stehen, steigt der Preis für die verbleibenden Wohnungen. Das ist gut für die Besitzer*innen und schlecht für die Mieter*innen. Ich finde, in einer Zeit in der Schutzsuchende in den Wäldern Ostpolens wortwörtlich zu Tode erfrieren und im Mittelmeer ertrinken, weil die ach so zivilisierte EU meint, sie hätte keinen Platz, ist Wohnraumzerstörung kriminell.
Abriss as usual
Bisher sind leer gezogene Blocks in „Ha-Neu“ meistens abgerissen worden, zum Beispiel am östlichen Ende der Magistrale auf deren Südseite und viele auch „kreuz und quer“ in den Vierteln. Zugleich häufen sich in den letzten Jahren die aufwändigen Sanierungen und damit einhergehend die Umwandlung in Eigentumswohnungen. In Berlin ist das verschrien als so genannte „Luxussanierung“, die üblicherweise genutzt wird um erstens die Miete weit über das von der „Mietpreisbremse“ erlaubte Niveau anzuheben und damit die alten Mieter*innen „los zu werden“. Wenn das erreicht ist – nicht selten wird nachgeholfen mit illegalen Schikanierungen wie Wasser, Strom, und Heizung abstellen oder ein Baugerüst vor die Fenster – dann kommen entweder neue Mieter*innen, die sich die stark erhöhte Miete leisten können, oder die Wohnungen werden verkauft. Auch in Halle sind Preise von über 200.000 Euro je Wohnung üblich, dafür reicht ein Blick in Immoscout oder E-Bay-Kleinanzeigen. Das ist weniger als in den Großstädten, wo die gleiche Wohnung vielleicht eine halbe Millionen kostet.
Ein Jahrhundert lang ging es mit Mietwohnungen und regulierten Mietpreisen, und nun heißt es, jede und jeder soll möglichst Eigentümer*in werden oder den Mietenwahnsinn erleiden.
Bloß, woher das Geld nehmen? Auch 200.000 Euro können viele Menschen nicht sparen, manche nicht einmal, wenn sie ihr ganzes Leben jeden Pfennig zur Seite legen. Und wer es kann, der oder die zahlt dann oft das ganze Leben den Kredit bei der Bank ab. Die Markt-Extremist*innen würden dann rufen: siehe da, es geht doch, kein Grund zum Jammern! Aber Moment, warum sollen Menschen ihr halbes oder ganzes restliches Leben an die Bank und die an einen Immobilien-Hai zahlen, wenn sie es bis dahin auch nicht mussten? Ein Jahrhundert lang ging es mit Mietwohnungen und regulierten Mietpreisen, und nun heißt es, jede und jeder soll möglichst Eigentümer*in werden oder den Mietenwahnsinn erleiden.
Auf der ganz praktischen Ebene steht da immer noch ein Haus, es wohnt immer noch die gleiche Person drin. Das Haus ist vielleicht ein bisschen modernisiert, aber im großen und ganzen macht es Dasselbe wie immer, Haus sein und Wohnungen haben. Und würde da nicht drumherum eine ganz attraktive Stadt sein, wäre das Wohnen dort sehr wenig wert. Die Immo-Haie haben zu dem allermeisten gar nichts dazugetan, nicht zur Stadt, und wenig zum Haus. Sie sind so überflüssig wie ein Kropf. Dass es dieser „Industrie“ gelingt immer mehr Häuser aufzukaufen, beweist erst einmal, dass der Markt nicht funktioniert. Er befriedigt das allgemeine Grundrecht auf Wohnen immer schlechter.
Aber zurück zu Halle Neustadt. Der erhebliche Leerstand kann also sowohl zum Abriss (1) als auch zu Eigentumswohnungsumwandlung (2) führen. Am unwahrscheinlichsten ist eine preiswerte Instandsetzung und neuerliche Vermietung zu den ortsüblich niedrigen Mieten an sozial Schwache (3), seien es nun Bio-Deutsche oder Refugees oder andere Gruppen.
Die Zeiten mit Leerstand sind so vorbei wie der „Kalte Krieg“. Halles Bevölkerung wächst und Mieter*innen sollten für einen Mietendeckel, eine Mietpreisbremse und einen qualifizierten Mietspiegel kämpfen.
Szenario 1 und 2 sind günstig für die Immo-Haie, aber schlecht für die Mieter*innen der Stadt. Szenario 3 wäre sehr gut für die Mieter*innen oder sogar Refugees wenn sie denn ins Land gelassen würden aber schlecht für die Immo-Haie weil dann das Angebot steigt und die Preise vielleicht stagnieren oder (man wagt es kaum zu hoffen) fallen. Würden wir in einer FDP oder auch AfD-Welt (die auffallend häufig von Immobilienmilliardären wie Henning Connle finanziert wird) leben wäre alles in Ordnung - warum die Aufregung? Nun wird aber Halle seit Jahr und Tag von einer wenn auch knappen rot-rot-grünen Mehrheit regiert, die BRD von einer Regierung mit SPD-Beteiligung. Deren Versprechen war nicht, noch mehr für die Reichen und weniger für die Mehrheit.
Von Istanabul bis Paulusviertel
Der Mietmarkt in einem Stadtteil ist verbunden mit den anderen, die Knappheit wird von Viertel zur Viertel und selbst von Stadt zu Stadt weitergegeben. Verknappt sich das Angebot an günstigen Mietwohnungen in Halle-Neustadt, schrumpft der Markt für ganz Halle. Längst flüchten Menschen vor den „Wuchermieten“ in Leipzig und Berlin auch nach Halle. Der dicht getaktete ICE-Anschluss in einer Stunde nach Berlin wirkt preissteigernd, denn so können Menschen in Halle Miete zahlen aber in Berlin das Gehalt abholen. In Berlin wiederum landen Londoner*innen und Leute aus dem IT-Business die ihre Arbeit dank Internet von überall aus machen können. Mit dem Gehalt, das in London noch vor einigen Jahren einen gewissen Lebensstandard sicherte schnappen sie in ehemals proletarischen, migrantischen und etwas heruntergekommenen Vierteln den Einheimischen viele Wohnung weg. Denn welcher Vermieter nimmt schon den Hartz4-Bezieher oder die Aufstockerin, wenn jemand anders einen Gehaltsnachweis mit 3, 4 oder 5.000 Euro vorlegt? Die „Mietenexplosion“ und die exorbitante Steigerung der Kaufpreise für Häuser und Wohnungen betrifft viele Städte, sei es in Nordamerika, Türkei oder Westeuropa. Das nach langfristig profitablen Anlagen suchende Kapital drängt zunehmend in Rentenwerte, das sind Grund und Boden, Ackerland, Infrastruktur. Der Humangeograph David Harvey hat eine ganze Theorie für diese neueste Phase des Kapitalismus entwickelt.
Werden in Halle die Dummen nicht alle?
Aber zurück zu Halle. Von Seiten der Stadt ist nichts zu hören, was mit dem vielen Leerstand in Neustadt geschehen soll. Noch nicht einmal einen Plan gibt es, wie weiterer Leerstand von Plattenbauten vermieden würde. Oder noch weniger als das: eine einfache Willensbekundung, Leerstand und Abriss wenigstens verhinder zu wollen – selbst das fehlt.
Sicher ist nur, dass mit jedem leerstehenden Gebäude bezahlbare Wohnungen verloren gehen. Denn ein leeres Haus geht kaputt und muss je länger es leer stand umso teurer saniert werden, allein um den alten Zustand wieder herzustellen. Gut zu sehen ist das am Wohnkomplex I / 4 gegenüber der Schwimmhalle, der in nur einem Jahr durch Vandalismus stark beschädigt wurde. Mittlerweile haben Randalierer selbst die Plastikfensterrahmen abgebrannt oder herausgebrochen. Der einfachste Weg zu bezahlbaren Mieten bleibt daher, Leerstand von ganzen Häusern von vornherein zu vermeiden.
Verstehen SPD und Linke nicht, wie dieser neoliberalisierte
Wohnungsmarkt funktioniert?
Da Halle weder von einer FDP- noch einer AfD oder CDU regiert wird, stellt sich in aller Deutlichkeit die Frage – warum? Für wen macht die Stadt diese Politik? Warum sorgt sie nicht für die große Mehrheit der Mieter*innen? Warum kümmern sich SPD und Linke so wenig um ihre Wähler*innen? Hat das Interesse der Immobilien-Haie etwa ein größeres Gewicht als das der Mehrheit der Stadtbevölkerung? Verstehen SPD und Linke nicht, wie dieser neoliberalisierte Wohnungsmarkt funktioniert?
Freilich, es lässt sich nicht mit einem „Hieb- und Stichfesten“ Corpus Delicti beweisen, dass die Stadt absichtlich gegen bezahlbares Wohnen arbeitet. Aber die Ergebnisse sind doch eindeutig, wohnen wird immer teurer. Möglicherweise hat die Stadt einfach kein Konzept und keine Aufmerksamkeit für ein Problem das noch nicht als solches wahrgenommen wird. Wenige aus Rathaus und Verwaltung werden wohl selbst in Neustadt wohnen. (Eine Ausnahme ist in der Tat Hendrik Lange, der nicht-gewählte Bürgermeisterkandidat) Möglicherweise eiert die Stadtpolitik einfach so in den Mietenwahnsinn hinein und merkt nicht so recht was geschieht.
Neureiche sind keine Bereicherung
Die Immobilien-Haie dürften tiefe Taschen haben da ihr Geschäft ja offensichtlich leider gut geht. Die Mietpreise steigen und Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt und mit riesigem Gewinn verkauft. Aufstocken muss keiner dieser „Leistungsträger*innen“. Auch ein Blick auf die rasche Vermehrung der Büros von Immobilienmaklern in den letzten Jahren zeigt, dass da etwas neues entstanden ist. Dazu passt, dass sich das Image von Halle langsam wandelt. Wo es in den 90er und 00er Jahren von Ortsfremden oft hieß, Halle sei gefährlich, schmutzig und „ostig“, hört man nun oft nur positives. Ich halte das – man mag mir grobe Polemik vorwerfen – für ein Unglück. Es ist ein Unglück, weil die heiteren Zeiten in denen kaum Zuzug war, in dem reiche Erben ihr Geld woanders anlegten, vorbei sind. Ich höre schon das Argument der Gegner*innen: aber die kulturelle Bereicherung, die jungen Leute. Hier fehlt der Platz für diese Debatte.
Aber ich möchte nur das entgegnen: die neuen Reichen sind nicht unbedingt eine Bereicherung für die Stadt. Und meine zweite wenn man so will, Polemik ist diese. Ich glaube, wer eine Viertel oder gar eine halbe Millionen bezahlen kann für eine Wohnung, der hat das Geld sehr oft geerbt. Im schlecht bezahlten Pflegesektor oder vielen anderen wichtigen Berufen hat er oder sie es sicher nicht zusammen gespart. Was wir erleben ist also eine Umverteilung des Raums in der Stadt zugunsten der Erben, bei Verdrängung der nicht-Erben. Probieren Sie es aus! Fragen Sie bei der nächsten Cocktailparty, die neuen Wohnungsbesitzer*innen woher das Geld kam! (Und bohren Sie ruhig nochmal nach, woher Oma und Opa das Geld hatten, vor allem damals, Sie wissen schon, die zwölf Jahre.)
Ideologisch-antikommunistische Stadtpolitik (IAS)
Um zu erklären, warum in Neustadt wahrscheinlich der größte Leerstand der Republik herrscht, wie gesagt die Stadt kümmert sich nicht darum Zahlen vorzulegen, muss ich etwas ausholen. Dafür müßen wir verstehen, dass der Kommunismus mausetot ist aber der Antikommunismus noch lange nicht. Der Historiker Enzo Traverso stellt nüchtern fest was in Deutschland heute ohnehin offensichtlich ist: die Mehrzahl der Sozialwissenschaftler*innen beteiligt sich seit rund dreißig Jahren an einer verzerrten und tendenziösen Darstellung der Epoche des so genannten Realsozialismus.1 Nur dass die andere Seite nicht mehr da ist, um ihre Stimme dagegen zu erheben. Ausnahmen wie Traverso gibt es, aber die sind naturgemäß selten. Die Soziologin Jana Tsoneva brachte das auf den Punkt:
The post-socialist predicament is a paranoid one: more than 20 years after 1989, we live in a political environment of extreme anti-communism with no tangible “communist threat” around that can be accused to have triggered it. Unless such a threat is imagined. As Derrida has shown, Communism died in 1989 but it later returned as a specter haunting anti-communists.(2)
Diese Denkfigur lässt sich auf die urbane Politik übertragen. Der eingebildete Feind ist hier die Architektur und Kunst des ehemaligen Kommunismus und seine Austreibung ist folglich deren Zerstörung.
Ich möchte das die ideologisch-antikommunistische Stadtpolitik (IAS) nennen. Die, so glaube ich, wird überall und auch in Halle betrieben von einer Gruppe in Rathaus und Wirtschaft, die ganz genau weiß was sie will: möglichst alle Erinnerungen und vor allem die positiven an die Deutsche Demokratische Republik (DDR) verschwinden lassen.
Dass es die DDR-Hasser*innen gibt muss ich nicht beweisen, das liegt auf der Hand. Ich finde auch, ich muss um das sagen zu können nicht behaupten, dass die DDR so gut war, wie sie sich selbst staats-offiziell dargestellt hat. (Schließlich behauptet jeder Staat erst einmal von sich, sehr gut zu sein.)
Noch mal Berlin
Schauen wir abermals nach Berlin, wo die Kämpfe um die Stadt, auch in ideologischer Hinsicht härter und deutlicher sind. Dass der Palast der Republik mit dem vorgeschobenen Grund der Asbest-bedingten Unsanierbarkeit abgerissen wurde (das ICC im Westteil wurde sehr teuer saniert obwohl ähnlich belastet) und das hohenzollernsche Stadtschloss wiederaufgebaut wurde ist die unübersehbare Spitze des Eisbergs.
In den 90ern gab es ernsthaft eine Debatte im Senat, den Fernsehturm abzureissen. Der Turm wird von offizieller Seite boykottiert – indem in den U-Bahnen das (ebenfalls hohenzollernsche) Brandenburger Tor auf die Scheiben gedruckt ist und auf allen Stadt-offiziellen Präsentationen zum Wahrzeichen gemacht wird. Der Fernsehturm hingegen ist der Rebell unter den Stadtsymbolen. Aktuell ist jedoch ein neuer Wolkenkratzer mit noch nicht definierter maximal erlaubter Bauhöhe am Alexanderplatz in Bau und weitere sind in Planung. Damit könnte der Turm zumindest ein wenig in deren Schatten gestellt werden.
Weniger Bestand hatten andere Bauten aus der DDR: das Stadion der Jugend der Welt musste der BND-Zentrale weichen, das Haus des Außenministeriums vor dem Schloss wurde abgerissen, und das Haus der Statistik (auch am Alex) harrt immer noch einer Nutzung. Freilich, viele Häuser der DDR-Moderne stehen noch und werden nur ganz anders genutzt: im Haus des Lehrers (am Alex) hält die Polizei und Sicherheitsbranche regelmäßig ihre Kongresse ab, im Staatsratsgebäude ist eine neoliberale Wirtschaftshochschule (und hat sogar das Mosaik mit der Friedenstaube intakt gelassen), das Interhotel ist noch Hotel, das Welthandelszentrum ist noch da und das Kino International ist sogar noch Kino. Interessanterweise darf da wo der Sieg gefeiert wird, die Symbolik der DDR stehen bleiben: im Staatsratsgebäude oder ganz schlicht an einer Litfassäule im Prenzlauer Berg, auf der noch die Telephonnummer der „Volkspolizei“ zu lesen ist.
Claas Gefroi übertreibt in seiner in der KONKRET vertretenen These: Es gehe dieser ideologischen Stadtpolitik darum, „jede positive Erinnerung an die DDR auszulöschen, (…) fast alle wichtigen architektonischen Symbolbauten der DDR (zu) vernichte(n).“(3) Alles ist nicht verschwunden. Ich halte die These mag sie auch übertrieben sein, im Kern für richtig: es gibt einen starken ideologisch motivierten Willen, Erinnerungen an die DDR in Form von Wandmosaiken, Statuen, Plastiken und Symbol-trächtiger Architektur abzureißen. (Wer das gar nicht glauben kann, sollte sich einmal die Debatte ansehen um die Kunstsammlung der Wismut AG. Es gab und gibt Stimmen, die die vollständige Vernichtung aller Bilder und Photos der sehr umfangreichen Sammlung (in Chemnitz) forderten und fordern, weil eben alles mit der DDR verbunden wäre und folglich schlechte Kunst wäre.)
Für Halle gibt es meines Wissens keine von der Stadt geführte Liste der verlorenen Monumente aus der DDR-Zeit. Meiner Meinung nach sind es diese: das Kino in Halle-Neustadt, der S-Bahnhof Neustadt (auch bekannt als Glaspalast), das Sigmund-Jähn-Planetarium auf der Peißnitz, die Spannbeton-Brücken am Ernst-Thälmann-Platz (Riebeckplatz) und an der Schwimmhalle Neustadt und weitere, und der gesamte Thälmannplatz mit den zwei großen blauen Hochhäusernund dem Fäuste-Monument am Eingang der Leipziger Straße. Vom alten Thälmannplatz ist nur noch das Haus des Lehrers mit allerdings ganz neuer Fassade erhalten, und etwas in Richtung Norden ist immerhin das große Mosaik am Eingang des Bürohauses gut erhalten. Auch stehen noch das ehemalige Interhotel, das allerdings wohl abgerissen werden soll und seine Fassade schon lange verloren hat wie auch das ComCenter und diverse Büro-Häuser. Sie sind zumindest von außen nicht mehr als Teil der sozialistischen Moderne zu erkennen.
Eine hallesche Besonderheit ist immerhin der Erhalt der Büste von Ernst Thälmann an der Franckestraße. Solange Eisleben seine Lenin-Statue nicht wieder aufstellt hat Halle damit wahrscheinlich die einzige große Statue aus der DDR-Zeit im öffentlichen Raum. Was ferner erhalten wurde ist die „Fahne“ am Uniring, heute ziemlich versteckt hinter dem Glas-Fassaden-Neubau. Auch hier erschließt sich kein Kontext und das war wohl ein Grund für ihren Erhalt. Entfernt und in Archiven eingelagert wurden die Statue vom „Kleinen Trompeter“, Fritz Weineck, der Ernst Thälmann im Volkspark-Saal das Leben gerettet haben soll. Jede*r ältere Hallenser*in kennt die Geschichte. Wie viele weitere Bronzen und Betonstatuen entfernt wurden weiß ich nicht, auch hier ist weitere Recherche nötig, die Stadt hat keine Liste geführt. (Man mag einwenden, dass Fritz Weineck nicht unumstritten war. Schön und gut, aber für welche historische Person trifft das nicht zu? War etwas H.D. Genscher unumstritten? Die Eltern von Elisabeth Käsemann hätten ihm sicher keine Ehrung durch die Umbenennung des Bahnhofsvorplatzes gewünscht..
(https://laika-verlag.de/index.php/bibliothek/dass-du-zwei-tage-schweigst-unter-der-folter-0)
Vielleicht hat Weineck weniger zur Rettung von Thälmann beigetragen als es die Legende will. Aber im Gegensatz zu Genscher, Emil Abderhalden und vielen weiteren, hat er gegen Rassismus und Ausbeutung gekämpft.
Abriss hat Tradition in Halle
Nicht verschont blieben viele Wandmosaike wie das an der Neustädter Schwimmhalle das die Oktoberrevolution zeigte. Die zwei großen Mosaike am Bruchsee des mexikanischen Künstlers Renau bröckelten lange vor sich hin, werden aber laut dubisthalle.de im nächsten Jahr saniert.
Es scheint zunächst die Liebe zum Abriss zu sein, wie sie der halleschen Stadtverwaltung besonders gefällt. Welche Stadt kommt sonst auf die Idee, ihr ältestes Haus (in der Mittelstraße) zerstören zu wollen, statt zu renovieren? Tatsächlich konnte die Mittelstraße gerettet werden, aber wie beim Künstlerhaus 188 war eine Initiative von außerhalb des Rathauses nötig. Wäre es nur nach dem Rathaus gegangen, wären beide so wie der „Bauernclub“ und viele viele andere abgerissen worden. Aktuell droht dem ehemaligen Leuchtturm der Subkultur, dem „La Bim“ hinterm leipziger Turm die Zerstörung.
Die Stadt hat vor und nach dem Ende der DDR 1990 ganze Viertel abgerissen. So wurde ungefähr die Hälfte des Schwemme-Viertels schon Ende der 1970er und Anfang der 1980er zerstört. Nach der Wende beendete das Rathaus das ganze und ließ was noch Stand, abreißen. Wo vorher ein zugegeben selbst für hallesche 80er Jahre-Verhältnisse heruntergekommenes Viertel stand, thront nun seit den 1990ern ein eine der typischen ästhetischen Fehlleistung und belästigt die Öffentlichkeit mit dieser Anti-Ästhetik. („MDR-Spitze“)
Das halb abgerissene Schwemmeviertel mit neuem Busbahnhof 1981. Rechts ist die Marienkirche, im Hintergrund noch die Hälfte des Viertels. Heute ist alles Teil der ästhetischen Fehlleistung mit dem anmaßenden Namens „Spitze“
Welche Stadt kommt 30 Jahre NACH der Wende auf die Idee, einen kulturellen Leuchtturm wie das LaBim-Kino abzureißen und statt dessen das ganze Viertel ohne städtische Mitsprache an einen Immo-Hai zu verschleudern, ohne irgendwie darauf zu achten, was dann gebaut wird? (Wir ahnen es schon: „Hier baut XY hochwertige Eigentumswohnungen für Sie“ mit Gefängnisgitterbalkonen, SUV-Tiefgarage und Kies-Vorgarten des Grauens. Das ganze dann wahrscheinlich ab 350.000 Euro die Wohnung.)
Kein Zweifel, viele Verheerungen in Halle gehen auf das Konto des Bezirks der Stadt, wie die Stadt-Regierung zu DDR-Zeiten hieß. Als eine der wenigen Städte, die den Krieg mit relativ sehr wenigen Schäden überstanden hatte, fällt die Entschuldigung mit Kriegsschäden für Halle weitgehend weg. Dass die DDR der irrsinnigen Auto-Ideologie von LeCorbusier folgte war eine Sache, dass Halle dafür mit der Hochstraße eine Art Autobahn-Schneise durch die Altstadt schlug eine andere. Diesen brutalen Umbau zur sogenannten „Auto-freundliche Stadt“ und damit zur menschen- und gartenfeindliche Stadt halte ich für einen der Tiefpunkte der Stadtpolitik. (Urbane-Gärten-Manifest )
Riebeckplatz als ideologischer Stadtumbau?
So schlimm das Verwahrlosen vieler Viertel in der DDR-Zeit war, es ist nicht besser geworden durch den Abriss der Häuser die zur DDR-Moderne gehören. Der Jugendstil und die ehemals lebendigen Viertel kommen damit nicht zurück, wie der sehr sterile und langweilige Riebeckplatz am Eingang der Leipziger Straße eindrücklich zeigt. Und war die Zerstörung des Riebeckplatz-Ensembles und der beiden blauen Türme nicht auch eine symbolische Kastration, ein gewolltes Verschwindenlassen der sozialistischen Moderne? Sicher, gerade anhimmelnd „schön“ waren sie nicht. Aber hatten sie nicht viele Hallenser:innen lieb gewonnen?
So schlimm das Verwahrlosen vieler Viertel in der DDR-Zeit war, es ist nicht besser geworden durch den Abriss der Häuser die zur DDR-Moderne gehören.
Die Sanierung wäre teuer gewesen und die Kosten waren ein Grund für den Abriß, über den der Stadtrat lange diskutiert hat. Aber ohne langes leer-stehen-Lassen wären auch diese Kosten gar nicht erst entstanden. So ist der Leerstand eben unter Umständen ein Mittel, um eine politische Entscheidung ein einen vermeintlich unpolitischen Sachzwang zu vermeiden. Und nebenbei bemerkt, hätten die Türme noch ein paar Jahre stehen dürfen – heute hätte sich ein Investor gefunden. Sie wurden kurz vor dem Steigen der Bodenpreise abgerissen.
Das 20. Jahrhundert war nicht „schön“, und der alte Thälmann-Riebeckplatz mit den Fäusten hat das ohne jeden Kitsch repräsentiert. Der Platz ist heute mindestens so unwirtlich wie der alte. (angeblich gibt es weniger Auto-gegen-Auto-Unfälle, meines Erachtens wird es aber mehr Fahrrad-Fuß und Fuß-und-Fahrrad-Tram-Unfälle geben wegen der Platzknappheit im neuen Tunnel. (https://www2.soziologie.uni-halle.de/publikationen/pdf/9401.pdf, S. 5-6) Und etwas anderes als Beton und Autos war und ist nicht vorhanden. Nur fehlen jetzt beide: Wahrzeichen der Stadt, und die historische Erinnerung daran und bezahlbare Wohnungen in den Türmen. (Mit dem Fäustedenkmal ging die einzige innerstädtische Kletterwand mit Abseil-Möglichkeit verloren.)
War es Absicht oder nur in Kauf genommen, dass der Wohnraum am Steg und Riebeckplatz jedesmal mit verknappt wurde?
Was mit dem politisch motivierten Abriss der Denkmäler begann, findet heute seine Radikalisierung im Übergreifen auf Wohnhäuser. Der Riebeckplatz war nach dem Abriss der Hochhäuser am Steg der Ort, an dem beides zusammenfiel. Sollten nicht die Denkmäler weg, und damit die historische Erinnerung und das gesamte Ensemble? War es Absicht oder nur in Kauf genommen, dass der Wohnraum am Steg und Riebeckplatz jedesmal mit verknappt wurde?
Nicht nur im Zentrum und Westen, auch in der Silberhöhe wurden Plattenbauten, darunter zwei Punkthochhäuser, abgerissen. Gerade die für Halle typischen Punkthochhäuser als höchste Bauten sind oder vielmehr waren prägend für das Stadtbild. Im englischen spricht man von „city-scape“ oder altmodisch, vom „Weichbild“ der Stadt, also ihrer Silhouette. Nun mag wer nie in der Silberhöhe gelebt hat, dem wenig abgewinnen können. Aber mache Silberhöher:innen fanden die Punkthochhäuser für ihr Viertel prägend und vermissen sie. Auch hier kann es nicht bewiesen werden aber doch vermutet, dass absichtlich gerade die materiell und symbolisch herausragenden Häuser abgerissen wurden.
Wenn wir hier noch einmal den Vergleich zu Ostberlin ziehen, wir deutlich wie viel aggressiver dieser Umbau in Halle war. Während die Karl-Marx-Allee (vom Alex zum Frankfurter Tor) sogar unter Denkmalschutz gestellt wurde, und der Alex selbst weitgehend erhalten ist als Wahrzeichen der sozialistischen Moderne, ist vom Äquivalent dazu in Halle wenig übrig. (Ja, der Alex war und ist einladender als der alte und neue Riebeckplatz, ohne Frage, dennoch ist die hallesche Entsprechung für eine teure und hohe Symbolarchitektur wie den Fernsehturm meines Erachtens das Turm-Ensemble am Riebeckplatz gewesen.)
Lästiger Leerstand – lästig für wen?
Es stimmt, dass die städtischen Wohnungsbaugenossenschaften für den Leerstand aufkommen mussten. Jedoch kostet zum einen ein gewisser Leerstand nicht viel. Solange nur Wohnungen und nicht das ganze Haus leer steht ist das kein großer Kostenfaktor. Und die Zeiten in denen sich keine Mieter*innen in Halle finden, sind vorbei. Ich möchte behaupten, dass heute jede einigermaßen akzeptable Wohnung, die preiswert ist, auch vermietet wird. Das Argument der Unvermietbarkeit zählt schon lange nicht mehr, denn Halle ist vom Schrumpfen in eine neue Wachstumsphase übergegangen.
Die private Wohnungswirtschaft ist ine Minderheit in Halle, aber scheinbar eine mit mehr Einfluss auf Stadtrat und Verwaltung als die ca. 200.000 Mieter*innen. Um es einmal deutlich zu sagen: Der Abriss nutzt einzig und allein den Immobilienbestizer*innen und Konzernen, er schadet einseitig den Mieter*innen.
Was private Immo-Haie machen, ist einen Wert den es schon gibt, Häuser, zu nehmen und unverändert teurer zu machen. Immo-Hai nützen niemanden außer sich selbst und daher sind sie auch keine „Industrie“, denn der Neubau ist gerade in Halle nur ein sehr kleines Segment ihres Geschäftes.
Rechte und Linke Stadträume
Die Zeitschrift Arch+ hat mit der Ausgabe „rechte Räume“ (https://archplus.net/de/archiv/ausgabe/235/) einen Streit angezettelt zwischen Rekonstruktionsbefürwortern und -Gegnern. Kurz zusammengefasst ging es Arch+ darum zu zeigen, dass es seit den späten 1990er Jahren nicht zufällig so viele Rekonstruktionen von imperialer und sakraler Architektur gab (Frauenkirche, Hohenzollernschloss, Innenstadt von Potsdam, Frankfurt Main und weitere) sondern dass dies Teil einer passiven Revolution im Bereich der Architektur ist. In ganz Europa wird die Architektur der progressiven Moderne des 20. Jahrhunderts abgerissen, während die vordemokratischen Architekturen wieder hergestellt werden, so Arch+. Die These kann hier nicht ausgeführt werden, dafür wurde ihr ja ein ganzes Heft gewidmet.
Was freilich in Arch+ fehlt ist ein Hinweis auf „linke Räume“ der Stadt, es wird nur festgestellt, dass „rechte Räume“ wie eben die der Hohenzollern wieder hergestellt werden.
In Halle waren die bekanntlich nicht vertreten, dafür umso mehr die Moderne des letzten Jahrhunderts. Auch wenn bei jedem einzelnen Abriss ökonomisch argumentiert wird, halte ich die Summe aller Abrißentscheidungen für das Ergebnis eines ideologischen Willens zum symbolischen Umbau der Stadt. Auch wenn Gefroi übertreibt, glaube ich dass er richtig liegt. Es gibt einen starken Willen, die DDR nicht nur in der Historiographie und Kultur zu diskreditieren, sondern auch darum ihre architektonische Erinnerung möglichst schlecht da stehen zu lassen (vgl. Wolfgang Wippermann, Dämonisierung durch Vergleich, DDR und drittes Reich.)
Wenn Halle eine Karl-Marx-Allee hat, dann wäre es meiner Meinung nach die Magistrale in Neustadt, ungefähr von der Feuerwache bis zur Schwimmhalle. Dort sind nun die Spannbetonbrücken alle abgerissen, das gläseren S-Bahn-Haus und zwei Häuser stehen leer, eines davon sieht schon sehr schlecht aus. Ich meine, dass gerade hier, wo so etwas wie ein ästhetisches Asemble noch erhalten ist, abgerissen werden soll, spricht für eine solchen Willen zum ideologischen Umbau der Stadt. Und ich habe große Zweifel am jedesmal kurzfristig vorgetragenen Kostenargument. So wurden mit diesem einerseits viele Schulgebäude abgerissen. Andererseits musste dann eine neue Schule am Holzmarkt auf der anderen Saaleseite gebaut werden. Die Schüler:innen müssen dort nun mit Bus und Tram hinfahren statt einfach zu den alten Gebäuden laufen zu können. Das war auf längere Zeitperiode gesehen sehr unökonomisch. Es wäre günstiger gewesen, die alten Gebäude zu erhalten.
Ich hoffe ja oft, dass all das nicht funktioniert. Dass das ganze anti-DDR und anti-kommunistische Getöse als die Propaganda erkannt wird, die es nun einmal ist. Aber ich werde immer wieder eines Besseren belehrt, gerade bei den jüngeren verfängt es doch. Eine Freundin wollte nicht glauben, dass es in der DDR keine Obdachlosen gab (meinetwegen, fast keine, irgendwo wird es einen gegeben haben). Ein Land ohne dieses Elend – irgendwo auf der Welt, irgendwann - kann sie sich einfach nicht vorstellen, sagte sie.
Politik der Entpolitisierung
Es war nicht so, dass es vorher eine große Ankündigung für einen solche Stadtumbau gab, weil es dann vielleicht eine Debatte gegeben hätte, und vielleicht wollen die manche lieber vermeiden und schaffen eben schnell Fakten. (So wurde das Wandbild „Marsch der Jugend“ des international renommierten Künstlers, Josep Renau, vorschnell abgerissen, bevor es eine Diskussion hätte geben können.) Zum Fakten-schaffen gehört meiner Meinung nach, die Häuser erst einmal lange genug verfallen zu lassen, um dann sagen zu können man müsse den Schandfleck nun entfernen, alles andere sei zu teuer.
Wenn ich heute durch Neustadt, wo ich einige Jahre als Kind aufgewachsen bin, fahre, dann finde ich die Ecke am Frauen-Brunnen (gegenüber der Skater-Bahn) und den kleinen Platz in der Ostseite der Neustädter Passage schön und einladend. Beim Wohnkomplex I (am Gastronom, links der Schwimmhalle) fällt mir ein, dass dort Werner Bräunig gelebt hat, der einzige Schriftsteller den Ha-Neu hatte und Autor des großartigen (in der DDR verbotenen) Romans „Rummelplatz“. (Berlin-Hellersdorf hat in einem ähnlichen Fall dem Schriftsteller Ronald Schernikau, der so nett war in Hellersdorf zu sterben, immerhin eine Gedenktafel gestiftet. )Auch finde ich, hat der Treff, wenn man so will, neuerdings einen gewissen multikulturellen Charme und auch die Schlucht zwischen Scheiben und altem „Zentrum Neustadt“ hat eine gewisse Modernität gemischt mit Morbidität.
Im Westen denken Leute bei Halle-Neustadt an Nazis und Platten. Aber die Reihenfolge war doch so: die symbolische Abwertung, der kulturelle und künstlerische Rückbau und die Verwahrlosung an manchen Ecken kamen bevor die AfD hier zweistellig abräumen konnte. Das soll nicht im Umkehrschluss heißen, der ideologische Umbau wäre schuld am Aufstieg der Naziszene und AfD. Das ist ohne Zweifel komplexer, und hier ist nicht der Ort um das zu diskutieren. Aber ich möchte es doch einmal Anmerken, dass der große Aufstieg der neofaschisten in die Parlamente nicht nach dem Mauerfall kam, sondern rund zwanzig Jahre später, nachdem die BRD in jeder Hinsicht einschließlich der Erinnerung an die DDR und der Stadtumbauprojekte, nicht nur in Halle, ihren Willen bekommen hat.
Gefroi schreibt, die Entfernung der Kunst im öffentlichen Raum und der Symbolarchitektur in den Plattenbaugebieten, „sollen davon künden, dass die DDR ihren Bürgern nicht mehr als ein Leben im Existenzminimum ohne jeden Anspruch auf Schönheit oder Urbanität zubilligte: Schaut, eine solche Monotonie entsteht, wenn eine Gesellschaft egalitär und eine Wirtschaft dirigistisch wird!“4
Man mag das für polemisch und überspitzt halten. Aber im Kern ist diese Art des Stadtumbaus ein Eingriff in das kollektive Gedächtnis. Denn das die Platten zur DDR gehören weiß jede:r, dass viel Kunst und kleine Schönheiten hier und da entfernt wurden wissen hingegen mit dem Generationenwechsel immer weniger.
Ich finde, die Bewohner*innen in Halle Neustadt sollten aufhören, sich das gefallen zu lassen. Weder die symbolische Abwertung noch die praktische Vernachlässigung (die es selbst im Paulusviertel gibt, wo die Fußwege zu Auto-Parkplätze degradiert werden) ist akzeptabel.
Was zu tun ist
Die Zeiten mit Leerstand sind so vorbei wie der „Kalte Krieg“. Halles Bevölkerung wächst und Mieter*innen sollten für einen Mietendeckel, eine Mietpreisbremse und einen qualifizierten Mietspiegel kämpfen. Die Magistrale und ihr Plattenbau Ensemble und die letzten erhaltenen Fließen-Fassaden sollten unter Denkmalschutz gestellt werden. In der Innenstadt ist das schon mit einer Platte geschehen – ein Schritt in die richtige Richtung. (https://hallespektrum.de/nachrichten/vermischtes/erster-plattenbau-in-halle-steht-unter-denkmalschutz/162704/)
Im Moment wäre es für Halle aber schon ein Schritt, endlich mit dem Abriss aufzuhören. Ich glaube nicht, dass das schon so sicher ist wie viele meinen. Selbst in Berlin werden Häuser abgerissen für die Stadtautobahn, selbst dort stehen mögliche Wohnhäuer leer (am Stasi-Museum und am Alex). Das kann genauso gut in Halle passieren, nur weil Wohnungsnot ist und die Preise steigen, regelt der Markt noch längst nichts.
Dazu kommt heute noch die Ökologie. Einmal im Überfluß vorhandene Baustoffe wie Sand sind heute weltweit zunehmend knapp. Bauen wird damit immer teurer. Für den Zement werden große Mengen Energie benötigt. Der Abraum aus dem Abriss wiederum ist oft belastet und schwer zu entsorgender Müll. Ein einem Wort: Erhalt ist ökologisch gut, Abriß ist klimaschädlich.
Der Stadtrat könnte dem Abriss jederzeit und sofort ein Ende machen. Die HWG kann angewiesen werden, damit aufzuhören. Sie sollte vielmehr überlegen, ob sie nicht per Kredit zusammen mit der Stadt die Häuser für die Nachverdichtung baut, statt es privaten Firmen zu überlassen. Das hieße natürlich, dort neu zu bauen, wo vor wenigen Jahren abgerissen wurde. Das ist etwas absurd, aber das Eingeständnis, dass es ein Fehler war, ist der erste und notwendige Schritt. Der nächste ist es, zu schauen, wie überhaupt noch preiswert gebaut werden kann in Zeiten explodierender Baumaterialpreise.
Ein breites Bündnis gegen „Mietenwahnsinn“, Abriss und die diskriminierende Vernachlässigung der Plattenbauviertel wäre gut für die Stadt.
Ferdinand Barizon
ist in Halle Neustadt aufgewachsen, ist heute noch oft dort.